Gedenken an die Penzberger Mordnacht:"Auf Unworte folgen Untaten"

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Beeindruckender Mann des Wortes: Wolfgang Knittel bei seiner Lesung zur Penzberger Mordnacht. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Lyriker Wolfgang Knittel warnt in einer eindringlichen Lesung vor Rassismus und Gewalt

Von Wolfgang Schäl, Penzberg

Sieben Jahrzehnte liegt das dunkelste Kapitel in der Geschichte Penzbergs zurück. Am 28. April 1945, in den letzten Stunden des Kriegs, überfielen fanatische Mitglieder der NS-Einheit "Werwolf Oberbayern" die Bergarbeiterstadt und ermordeten 16 ihrer Bürger, darunter eine schwangere Frau und Bürgermeister Hans Rummer, der gerade wieder in seine Amtsgeschäfte im Rathaus eingetreten war. Er hatte es erfolgreich unternommen, die Sprengung des Bergwerks durch marodierende Nazis zu verhindern und die demokratisch legitimierte Stadtverwaltung wieder in ihre Funktion einzusetzen. Aber der Preis für den Versuch, dem Wahnsinn des letzten Kriegstages Einhalt zu gebieten, war hoch.

An die Opfer des grausamen Verbrechens, die aufgrund von Willkür-Urteilen eines selbsternannten Standgerichts teils erhängt, teils erschossen wurden, hat die Stadt mit einem literarisch-musikalischen Abend erinnert, heuer erstmals in der Stadtbücherei statt im Gymnasium. Eingeladen war Wolfgang Knittel, ein in München lebender, in Penzberg aufgewachsener Lyriker, der sich mit Leidenschaft gegen Rassismus und Gewalt wendet.

Knittel ist ein überaus beeindruckender Mann des Wortes, der mit großem Ernst und poetischer Eindringlichkeit vor den Gefahren warnt, die er mit dem allerorts zu beobachtenden Hochkommen der neuen Rechten heraufziehen sieht. Mit diesem Anliegen bewegt er sich sprachlich und rhetorisch trittsicher auf einem sehr schmalen Grat, denn Lyrik ist gewiss nicht die schärfste Waffe, die politische Aufklärung zu bieten hat, und poetisches Pathos kann in einem so heiklen historischen Erinnerungskontext, nun ja, leicht schiefgehen. Knittel aber erreicht sehr direkt die Herzen seiner Zuhörer, wenn er über "die Zerstörungskraft des Hasses" spricht, "die sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte zieht". Wenn er den Hass anprangert, "der die Ratten aus ihren schwarzbraunen Löchern lockt". Wenn er unter der Rubrik "Flammenspur" die Frage aufwirft, "warum der Mensch immer Feindesgestalten braucht, und woher die Freude kommt, wenn andere verlieren".

In Teilen seiner Lesung tendiert Knittel ins Apokalyptische, spricht er von den Grenzen, die sichtbar werden, "wenn der Bombendunst sich verzogen hat"; von "Häusern wie Betongerippen, mit klaffenden Wunden", von einer schon wieder drohenden Verhärtung der Herzen, von neuen Bomben - "die Menschen ziehen keine Lehren, wenn Wahnsinn sich zusammenbraut". Die Macht und Ohnmacht der Sprache ist Knittel vor diesem Hintergrund sehr bewusst. "Es gibt Worte und Unworte", sagt er. "Auf Worte folgen Taten, auf Unworte folgen Untaten." Das Wort kann wie ein Giftpfeil wirken, "aber es sollte Baustein sein für Brücken. Denn erst durch Brücken werden wir zum Wir".

Was das Fehlen von Worten, von Widerworten, bedeutet, illustrierte Knittel mit einem Satz von Martin Niemöller, der als Vertreter der Bekennenden Kirche selbst in Konzentrationslagern inhaftiert war: "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."

Eine düstere Ergänzung erfuhr die Lesung durch Texte von Rosemarie Wieser und dem noch sehr jungen Hannes Lenk. "Werd' ich's vergessen, das Schreien, das über den Trümmern vibriert?", fragt Wieser. Sie sieht wieder "böse Blicke und alte Ängste, die in mir hochkriechen". Lenk artikuliert Visionen von einem, "der sich in seinem eigenen Haus einsperrt. "Ich weiß nicht, was aus allem wird", sagt er, "aber hoffen möcht ich sehr." Auf die Hoffnung setzt am Ende doch auch Knittel: "Vielleicht gibt es ein Wunder und der Hass wird enden - bauen wir auf diesen Weg zum Horizont."

Den atmosphärischen Rahmen besorgten Thomas Bouterwek (Saxofon) und Holger A. Jung (Klavier), zwei virtuos-kongenial improvisierende Musiker, die mit impressionistisch-kühlen Klangcollagen die rund einstündige, sehr nachdenklich machende Lesung begleiteten.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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