Fachmann:Aus Liebe zum Denkmal

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Das Schnellriederhaus im Wolfratshauser Bergwald bekommt ein neues Dach. Das ist keine einfache Arbeit, denn die Villa hat einen speziellen Erker

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen

"Man muss rechnen können. Wenn man nur einen Zentimeter daneben liegt, stimmt der ganze Radius nicht mehr", sagt Jürgen Probst. Er ist kein Mathematiker, sondern Dachdecker- und Spenglermeister, aber räumliches Vorstellungsvermögen und präzises Kalkulieren sind die Voraussetzungen für seine anspruchsvolle Arbeit. Die Aufgabenstellung, mit der er sich in diesen Tagen zu beschäftigen hat, klingt simpel: Das Schnellrieder-haus im Wolfratshauser Bergwald, eine der letzten markanten, denkmalgeschützten Villen in der Stadt, hat einen zylindrischen Erker mit kegelförmigem Dach, und das muss neu eingedeckt werden, denkmalgerecht, mit gebrannten, tönernen Ziegeln. Die Abdeckung ist in die Jahre gekommen, die Bewohner und Eigentümer des Hauses, das Ehepaar Heidrun und Peter Opitz, musste befürchten, dass Einzelteile bei einem Sturm herabstürzen - eine konkrete Gefährdung für Bewohner und Besucher.

Die Familie Opitz lässt das Dach ihrer denkmalgeschützten Villa sanieren. Das kostet Zeit und Geld, weil Sanierung und Deckung des Turmes aufwendig sind. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Ein paar Ziegel sind schon runtergefallen", sagt Heidrun Opitz. Man könnte meinen, dass dies eine leicht zu lösende Aufgabe ist für den Fachmann, schließlich gibt es eine relativ einfache geometrische Formel für die Oberflächenberechnung eines Kegels, eines aus dem Schulunterricht bekannten Rotationskörpers. Aber hier oben auf dem hohen Gerüst ist alles anders.

Ortstermin im Bergwald. Ganz wohl ist ihm nicht, als der Besucher auf dem Aluminiumgerüst bis hinauf zur Spitze des Erkers klettert, bis ganz nach oben kommt er nur noch über eine Art vertikale Hühnerleiter. Hier an der Spitze des Gebäudes sieht alles anders aus. Der Blick aus zwanzig Metern Höhe übers Isartal hinweg ist berauschend, und man hat das Gefühl, einem historischen Gebäude sehr nahe zu sein. Vom bisherigen Dach ist nur der Unterbau zu sehen, ein Lattengerüst, das dem Zahn der Zeit gut stattgehalten hat. Da hatten die Eigentümer Schlimmeres befürchtet.

Dachdecker Jürgen Probst (links) und die Hausherren Peter und Heidrun Opitz vor ihrem eingerüsteten Anwesen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der hochragende, runde Erker muss so abgedeckt werden, dass die einzelnen Platten bei einem immer enger werdenden Radius korrekt überlappen und auf jeder Lage kleiner werden, bis die Spitze erreicht ist. Jede Platte muss dabei so liegen, dass sie mittig über der Trennfuge zwischen den beiden darunter liegenden Platten liegt und diese partiell überdeckt - andernfalls wäre das Dach undicht. Dies alles auf einer Kegeloberfläche so zu berechnen, das jede Lage am Ende einen genauen Abschluss findet, ist eine Aufgabe für einen echten Tüftler, einen Mann wie Probst, der sich selbst als Restaurator und Konservator sieht. Die Form des Biberschwanzes ist dem entsprechend auch eine historische, die vermutlich bis ins 14. Jahrhundert zurückgeht. Einziges Zugeständnis an die Moderne ist ein Kitt, mit dem Probst die nebeneinander liegenden Platten verbindet, sodass der Belag insgesamt stabiler ist. 2000 Ziegel wird Probst voraussichtlich brauchen, jeweils 36 pro Quadratmeter Dachfläche. Jeder der gleichgroßen, genormten Biberschwanzziegel aus gebranntem Ton muss hoch oben auf dem Gerüst mit einer Diamantschneidemaschine trapezförmig zugeschnitten werden, für den Transport des Rohmaterials steht lediglich ein handbetriebener Seilaufzug zur Verfügung. Auf vier Wochen sind die Arbeiten veranschlagt. Dann ist Probst aber noch als Spengler gefragt, denn die angerostete Blechspitze des Erkers muss ebenfalls noch renoviert werden.

Der häuslichen Behaglichkeit sind diese wochenlangen Arbeiten nicht sehr zuträglich, man sei mit den Nerven schon ziemlich am Ende, bekennt Heidrun Opitz, die aber froh ist, für die Sanierung den traditionsbewussten Fachmann gefunden zu haben - Probst sei "ein echter Glücksgriff", einen wie ihn habe man lange gesucht. Auch der Adressat des Lobes ist von seiner Arbeit überzeugt: "Ich mache kein Dach zweimal", versichert er. Einen vorhersehbaren Schock wird das Ehepaar freilich noch zu verdauen haben - wenn die Rechnung kommt. Die beiden Bewohner der Schnellrieder-Villa, die hier seit 1975 leben, stellen sich auf Kosten in Höhe von etwa 50 000 Euro ein, Zuschüsse gibt es kaum. Die Liebe zu einem denkmalgeschützten Haus hat ihren Preis, und den sind die beiden Eigentümer bereit zu bezahlen. "Ich liebe dieses Haus", sagt Peter Opitz, "Es ist ein Stück Kultur."

© SZ vom 29.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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