Wolfratshausen:Auf den Spuren der schweigsamen Kriegsgeneration

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Bilder und Schnipsel eines rastlosen Lebens: Michael von Brentano mit seiner Schwester Isabella vor seiner künstlerischen Installation im Badehaus. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ins Zentrum seiner künstlerischen Installation im Erinnerungsort Badehaus in Waldram stellt Michael von Brentano seine Mutter: das Urbild der von traumatischen Erlebnissen geprägten Flüchtlingsfrau.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

"Die Empathielosigkeit war das Signum der Kriegsgeneration", sagt Sibylle Krafft. "Ich habe in diesen Schilderungen meine Mutter wiedererkannt." So wie der Vorsitzenden des Badehausvereins geht es vielen im Publikum. Im Anschluss an das Künstlergespräch mit Michael von Brentano erzählen sie, dass sie seine Erfahrungen teilen. Die Schwiegermutter sei ähnlich verschlossen und gefühlsarm gewesen, die Mutter, die Tante.

Das Badehaus wolle mehr als ein Geschichtsmuseum sein und immer wieder neue Impulse setzen, erklärt Sibylle Krafft eingangs in der sehr gut besuchten Veranstaltung. "Die Kunst erlaubt neue Blicke auf eingefahrene Betrachtungsweisen." Und so wurde der Erinnerungsort Badehaus seinem Namen einmal mehr gerecht. Der 1960 in Augsburg geborene und in Seeshaupt lebende Bildhauer Brentano hat sich mit seiner verstorbenen Mutter und ihren Erinnerungen auseinandergesetzt. Seine Mutter sei ihr Leben lang seltsam empathielos gewesen. "Sie konnte sich nicht in andere hineinversetzen, sie konnte keine Gefühle teilen und war unfähig, welche zu zeigen", berichtet er. Dass sie sich so verkapselt hat, hängt mit ihren Traumata aus der Kindheit zusammen.

1945 musste die 13-Jährige von einer Minute auf die andere mit ihrer Mutter und den Geschwistern aus ihrer Heimat Sudetenland fliehen. Den Vater, der verhaftet wurde, hat sie nie mehr wiedergesehen. Während ihrer zweijährigen Odyssee machte sie Erfahrungen, über die sie bis kurz vor ihrem Tod nie sprach und die auch der Sohn vor Publikum nicht breittreten wollte. Nie hat sie sich sonst mitgeteilt. Bis zu ihrer Flucht war sie als glückliches Försterkind in dem von weitläufigen Wäldern umgebenen Oberlindenwiese aufgewachsen. Zum 80. Geburtstag fuhren die Kinder mit ihr in die alte Heimat und erlebten eine wundersame Verwandlung der Mutter. Sie, die nie über die Vergangenheit gesprochen hatte, begann am wiederentdeckten Sehnsuchtsort über ihre idyllische Kindheit zu erzählen, wie sie Pilze im Wald sammelten, am Bach spielten und wie es im Winter so geschneit hatte, dass sie nur noch durch die Fenster im ersten Stock das Haus verlassen konnten. Und zum ersten Mal erlebte der Sohn, wie die sonst so verschlossene Mutter Gefühle zeigte. "In ihrem Gesicht war der Ausdruck von Glück", erinnert sich Brentano.

Aus 4700 Fotos seiner Mutter hat Brentano 160 für seine Installation ausgewählt. (Foto: Hartmut Pöstges)

"Eigentlich war ich mein Leben lang auf der Flucht" - das sei einer der letzten Sätze seiner Mutter gewesen, bevor sie 2019 starb. Ein Schlüsselsatz. Wenn sie las, dann waren das Reisekataloge. Die Lebensflucht veranlasste sie, andauernd unterwegs zu sein. Europa, Amerika, Asien, seit den späten 1970er-Jahren war sie am Reisen, aber blieb, was die Eindrücke betraf, konsequent sprachlos. Dass es ganz schön gewesen sei, mehr bekam er nicht aus ihr heraus. Nach ihrem Tod fand Brentano in einigen Kisten 4700 Fotos, die sie mit ihrer kleinen Kamera gemacht hatte. Er sichtete sie, wählte 160 davon aus und verarbeitete sie mit eigenen Werken und Videoclips zu einer künstlerischen Installation, die nun bis 22. Januar 2023 im Erinnerungsort Badehaus zu sehen ist.

Seiner Mutter nähert er sich aber nicht emotional, sondern aus der Distanz. Sachlich beschreibt er, was auf den Fotos zu sehen ist, die Aufzeichnungen werden in der Installation abgespielt. Fischer an einem Fluss, Menschen in einer Markthalle, die heimatlos gewordene Mutter ist mit der Kamera in viele Heimaten anderer Menschen eingedrungen. Dazu hat Brentano eine Art Mast mit Segel montiert, neben der Parole "Feed my romantic inspirations" ist dutzendfach die Mutter zu sehen, eine isolierte Figur, die er aus den vorhandenen Bildern herausgeschnitten hat. Auch das ein Symbol: "Sie blieb immer allein, auch auf den vielen Reisen hat sie nie Freundschaften geschlossen."

Die kreative Auseinandersetzung habe zwar auch im Nachhinein keine Nähe zur Mutter herstellen können, gesteht Brentano, jedoch zur eigenen künstlerischen Identität. Ein schmerzhafter, aber hoffentlich auch heilsamer Prozess. Denn letztlich habe er es der empathielosen Mutter zu verdanken, dass er Künstler geworden sei. Sie zwang den Fünfjährigen täglich zum ungeliebten Mittagsschlaf. Doch da gab es einen braunen Vorhang, durch den das Licht schien und Tiere, Pflanzen, Fratzen imaginierte. "Ich konnte in diese phantasievolle Welt flüchten, auf die die Mutter keinen Zugriff hatte", erinnert er sich.

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