Energiewende im Landkreis:Der vertikale Dreh

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Die großen Windkraftanlagen stoßen auf Widerstand in der Bevölkerung. Doch es gibt eine Alternative.

Wolfgang Schäl

Peter Haberzettl ist einer, der an den Umgang mit drögen Zahlen und Daten gewohnt ist, ein Schwärmer ist er gewiss nicht. Wenn der Miesbacher Elektroingenieur über die Perspektiven umweltfreundlicher Energieversorgung spricht, über den "Blumenstrauß" technischer Möglichkeiten, dann ist eine vorsichtige Aufbruchstimmung bei ihm indes nicht zu überhören: Bürgersolaranlagen, Biomasse, Solarthermie, Photovoltaik, Geothermie und - immer stärker - auch Windkraft sind die Bereiche der Umwelttechnik, auf denen die Zukunftshoffnungen nicht nur von Haberzettl ruhen.

Weit weniger auffällig in der Landschaft als große Windkraftwerke wirken die kleinen H-Rotoren, die auf einer vertikal ausgerichteten Achse laufen und an den meisten Häusern installiert werden können. Die Firma Envento, die sie herstellt, ist mit den Mini-Anlagen bestens im Geschäft. (Foto: dpa)

Im Vorstand der Energiewende Oberland, die in Wolfratshausen ihren Sitz hat, ist Haberzettl für die Windkraft zuständig, und über den aktuellen Stand der Technik ist er gut informiert. Das ist auch ein Grund für seine Zuversicht, denn bei der Windkraftnutzung, die auf wachsenden Widerstand in der Bevölkerung stößt, ermöglichen es neue Entwicklungen, viel Windkraft zu erschließen, ohne dass immer gleich die allseits gefürchteten gewaltigen Rotoren installiert werden müssen.

Es sind sogenannte Vertikalläufer: Sie drehen sich nicht wie Flugzeugpropeller um eine horizontale Achse, sondern sehen nach Haberzettls Beschreibung aus "wie senkrecht aufgestellte Surfbrettln". Es sind Anlagen, die sich im Prinzip jeder vors Haus stellen kann, deren Leistung freilich entsprechend geringer ist. Das Spektrum reicht von 400Watt bis 100 Kilowatt.

Die Masten sind nach Worten des Energiewende-Sprechers bis zu einer Höhe von neun Metern genehmigungsfrei und eignen sich besonders für landwirtschaftliche Anwesen oder Firmengebäude. Als Vorteil nennt Haberzettl, dass sie wesentlich leiser seien als die großen Rotorblätter, die mit bis zu 60 Stundenkilometern durch die Luft schneiden. Wegen der geringen Größe sei auch die Gefahr geringer, dass Vögel verletzt oder getötet werden.

Seit zwei Jahren sind solche Anlagen auf dem Markt, mehrere Hersteller bauen sie, und sie erfreuen sich wachsender Beliebtheit. "Sie setzen sich immer mehr durch", frohlockt Haberzettl. Ganz billig sind solche Mini-Generatoren allerdings nicht, weil auch für sie feste Fundamente gelegt werden müssen. Für eine kleine Anlage veranschlagt der Energiewende-Experte an die 50 000 Euro.

Viel Geld zwar, aber das sei nach etwa acht Jahren amortisiert, hat Haberzettl ausgerechnet - unter der Voraussetzung, dass die staatliche Förderung auf 20 Cent pro Kilowattstunde angehoben wird. Haberzettl ist sicher, dass die Kleinanlagen unter diesen finanziellen Voraussetzungen "schon im nächsten Jahr wie Pilze aus dem Boden schießen und das Landschaftsbild verändern werden". Um die Finanzierung zu fördern und auch weniger Betuchte zu beteiligen, schwebt der Bürgerstiftung Energiewende ein genossenschaftliches Modell nach dem Vorbild der Bürgersolaranlagen vor.

Ein Hersteller solcher Anlagen ist die Firma Envento in Bergen am Chiemsee, mit rund 30 Mitarbeitern ein mittelständischer Betrieb, der sich mit klein ausgelegten Vertikalläufern im Januar vergangenen Jahres auf den Markt gewagt hat. Er stellt die sogenannten "H-Rotoren" her, eine bildhafte Bezeichnung für die senkrecht stehenden Rotorblätter. Die Geschäfte gehen bestens.

Auf die Frage, ob die Havarie in Fukushima denn so eine Art Turboeffekt ausgelöst habe, bekennt Envento-Geschäftsführer Christian Schlögl: "Das muss man wohl so sagen, es gibt die Zeit vor und nach Japan." Dabei findet es Schlögl "schade, dass erst sowas passieren muss". Der Firmenchef versichert, die Nachfrage sei "ein Wahnsinn", immer mehr Menschen legten Wert darauf, in Bezug auf die Energieversorgung autark zu sein. Im Weg stehen Envento derzeit vor allem bürokratische Hürden.

Für alle mehr als zehn Meter hohen Anlagen bedürfe es allerlei behördlicher Voraussetzungen, angefangen von der Baugenehmigung bis zum Vogelschlaggutachten. Wie von Haberzettl angedeutet, setzt sein Unternehmen nun auf Vergütungen bei der Stromeinspeisung, die mit denen von Groß-Windkraftanlagen vergleichbar sind.

Die großen Anlagen, die eine Gesamthöhe von bis zu 185 Metern erreichen, schlagen für Investoren mit mindestens 3,5 Millionen Euro zu Buche. Sie liefern eine Leistung von bis zu 1,5 Megawatt, die für rund 1000 Haushalte ausreicht. Einem Investor, der sein Geld dafür ausgeben will und einen Standort sucht, empfiehlt Haberzettl einen Blick in den von der Staatsregierung herausgegebenen Bayerischen Windatlas.

Darin finden sich neben einschlägigen Karten konkrete Angaben zur Berechnung des mittleren Jahresenergieertrags über Vergütungen bis hin zu den baurechtlichen Rahmenbedingungen. Zu den Letzteren zählt, dass die Rotoren mindestens 800Meter vom nächsten Gebäude entfernt sein müssen, eine im dicht besiedelten Nordlandkreis nicht leicht einzuhaltende Vorbedingung.

Im Süden wiederum, wo die Bebauungsdichte stark abnimmt, gibt es andere Gründe, die der Ansiedlung von Windkraftanlagen im Weg stehen. Tabu sind Natur- und Wasserschutzgebiete sowie Flächen, die von Lawinen bedroht sind, und Tiefflugzonen der Luftwaffe. Sie sind im Regionalplan als Restriktionsflächen ausgewiesen.

Grundsätzlich geeignet wären nach dem Windatlas zahlreiche Gebiete zwischen Münsing und dem Walchensee. Umso dringender empfiehlt es sich für die in Frage kommenden Gemeinden, in ihren Flächennutzungsplänen, "Konzentrationszonen" für Windkraft auszuweisen. Nur so ist zu verhindern, dass sich Investoren und Grundeigentümer über die Köpfe der jeweiligen Gemeinde hinweg absprechen und im Zuge privilegierter Bauvorhaben Windräder an Stellen errichten, wo Gemeinden dies ablehnen.

Für Gesprächsstoff in den Gemeinderäten ist in den kommenden Wochen und Monaten mithin gesorgt. Denn weil Bayerns Umweltminister Markus Söder nach Haberzettls Worten "unwahrscheinlich großen Druck ausübt", werde man in den Gemeinderäten "künftig nicht mehr darüber zu debattieren haben, ob man Windkraft will, sondern wo". Dass es nicht leicht sein wird, Anwohner von der Notwendigkeit einer Windkraftanlage in ihrer Umgebung zu überzeugen, weiß auch Landrat Josef Niedermaier.

Der Widerstand werde groß sein, prophezeit er. "Wir müssen uns mit den Bürgern jetzt in die Diskussion begeben." Denn das Landschaftsbild wird sich auch nach seiner Prognose einschneidend verändern. Um den Bau von Windrädern sinnvoll zu steuern, drängt er auf eine Fortschreibung des Regionalplans.

Weil Windenergie wetterbedingt ungleichmäßig fließt, stellt sich die Frage, wie sie bei Produktionsspitzen gespeichert werden kann. Aktuelle Entwicklungen gehen in eine Richtung, die Haberzettl mit "Methanisierung von Windstrom" beschreibt: Mit Hilfe des von Windrädern erzeugten Stroms wird in einem Elektrolyseverfahren Wasserstoff erzeugt, der sich in Reaktion mit Kohlendioxid zu Methan und Wasser umwandelt.

Methan als Brennstoff lässt sich im Boden lagern oder in die Gasversorgung einspeisen. Diese Technologie sieht der Ingenieur auch als Perspektive im Bereich Automobilantrieb: Die geniale Lösung sind aus seiner Sicht von Gasturbinen angetriebene Elektromotoren. Namhafte Hersteller sind Haberzettl zufolge dabei, den Wirkungsgrad dieser Technologie zu optimieren, die er schlichtweg für "revolutionär" hält.

© SZ vom 11.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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