Einkaufswelt:Kahle Fenster, leere Regale

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Die Wolfratshauser Marktstraße droht zu veröden. Schon wieder machen einige Läden dicht. Das hat Gründe

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Erneut machen einige Läden in der Wolfratshauser Marktstraße dicht. (Foto: Hartmut Pöstges)

In der Einkaufswelt der Wolfratshauser Marktstraße klafft seit wenigen Tagen eine neue Lücke: Gegenüber vom Marienplatz, zwischen Frisör und Buchhandlung, blickt man durch kahle Schaufenster in einen dunklen Laden mit leeren Regalen. Jahrelang hat dort der Gummibärchenladen die Altstadt etwas bunter gemacht: Es gab Geschenkartikel - mit Sprüchen bedruckte Kaffeetassen oder Leberkassemmeln aus Plastik - und viele durchsichtige Behälter, aus denen sich die Kunden Gummibärchen und andere Süßigkeiten mit kleinen Schaufeln in Tüten abfüllen konnten. Das ist nun Geschichte: Tobias Krätschmar hat in den ersten Maiwochen noch verkauft, was da war. Dann hat er seinen Laden für immer dicht gemacht.

"Alles hat ein Ende", stand zuletzt auf einem Schild an Tobias Krätschmars Schaufenster. Für den Gummibärchenladen ist Schluss. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Wolfratshauser Gummibärchenladen war eine Institution: 1998 eröffnete Krätschmar sein erstes Geschäft im Untermarkt, später zog er ein paar Häuser weiter neben das Rathaus. Stammkunden, aber auch viele Urlauber und Tagesgäste besorgten bei ihm Geschenke, Grußkarten und Weingummi oder holten sich Karten für Veranstaltungen im Vorverkauf. Nach fast 20 Jahren ist damit nun Schluss. "Alles hat ein Ende", stand zuletzt auf einem Schild an Krätschmars Schaufenster. Nach so vielen Jahren falle es ihm schwer, Abschied zu nehmen. "Ich möchte mich für die schöne Zeit und die vielen Begegnungen recht herzlich bedanken." Besonders schön war die Zeit in seinem Laden zuletzt allerdings selten. "Es kamen definitiv immer weniger Kunden, der Umsatz wurde immer geringer", sagt der gebürtige Wolfratshauser. Lange habe er gehofft, dass es wieder aufwärts gehen würde. Dem war aber nicht so. "Die Kundenfrequenz ist so schwach geworden, dass man sich die Füße in den Bauch steht", sagt der 44-Jährige. "Das frustriert einen." Er habe gemerkt, dass er so nicht glücklich werde. "Für mich war klar: Das muss ein Ende haben."

Der Abschied Krätschmars, der nun wieder seinem Lehrberuf als Angestellter im Handwerk nachgeht, mag individuelle Gründe haben. Er ist aber auch symptomatisch für die Wolfratshauser Altstadt, in der leere Schaufenster seit Jahren zum Gesamtbild gehören. Die wird es bald auch nebenan geben, wenn der Laden für Küchenzubehör "Cucinella" nach nur einem Jahr zum 1. Juli die Ladentür für immer absperrt. Und die Sparkassenfiliale gegenüber wird spätestens zum Sommer 2019 schließen. Im Sinne des neuen "Zielbilds" des Kreditinstituts soll es dann dort nur noch Geldautomaten geben.

Hört man Krätschmar etwas länger zu, dann spricht er von einem Risiko, auf das er sich nicht mehr einlassen will. Schulden habe er nie gemacht, sagt er. In seinem Laden sei immer alles bezahlt gewesen. "Ich bräuchte jetzt Geld zum Investieren. Aber das ist auf absehbare Zeit nicht reinzuholen." Also hat der Familienvater eine "Vernunftentscheidung" getroffen, wie er sagt. Er habe sich zuletzt so sehr über seine Situation im Laden geärgert, dass er sich nun auf seine Arbeit als Angestellter freue. "In Wolfratshausen ist einfach zu wenig los", sagt Krätschmar. Dass immer weniger Bürger und Touristen in die Altstadt kämen, liege auch am Stadtrat und seinem "zögerlichen Verhalten", wie der scheidende Geschäftsinhaber dann doch etwas verbittert feststellt. "Man hat vor Jahren nicht die Weichen gestellt für die Zukunft", sagt Krätschmar. "Da wurde einfach zu lange gezaudert." Neue Parkplätze, die Anbindung der Altstadt an das Loisachufer - für all das gebe es seit Jahren Pläne, umgesetzt worden sei jedoch nichts.

Stattdessen gab es 2006 eine Einbahnstraßenregelung - eine für Geschäfte nachteilige Verkehrsführung, wie Krätschmar findet. Seitdem seien viele Kunden weggeblieben. "Jetzt werden eigentlich sämtliche Bürger von der Altstadt ferngehalten", sagt der 44-Jährige. Rundherum gebe es von 16 Uhr an Verkehrschaos, "und hier herrscht gähnende Leere".

Fritz Schnaller kann Krätschmars Ärger zum Teil nachvollziehen, wie er sagt. Der Betreiber der "Raritätenstube" verkauft im Obermarkt Antiquitäten und sitzt als Zweiter Bürgermeister für die SPD im Stadtrat. Die neuerliche Geschäftsaufgabe bewege die Leute, es werde viel über das Thema gesprochen. "Jeder Leerstand ist einer zu viel", sagt Schnaller. Das gelte auch für das ehemalige Isar-Kaufhaus, das abgerissen werden soll für einen Neubau mit einem großen Laden im Erdgeschoss. "Die Kleinen brauchen die Großen", sagt Schnaller. Das Baugenehmigungsverfahren, das derzeit im Landratsamt läuft, sei jedoch kompliziert. "Als einer, der beteiligt ist, weiß ich, dass alles viel komplexer ist als man vielleicht meint. Die Dinge sind nicht so schnell umsetzbar, wie wir das gerne hätten."

Fritz Schnaller kann den Frust vieler Ladenbesitzer verstehen, denn er hat selbst ein Geschäft in der Marktstraße. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Erfahren musste das Schnaller auch bei der Umgestaltung der Marktstraße. Die sollte schon 2006 im Zuge der Einbahnstraßenregelung attraktiver gestaltet werden. Das Staatliche Bauamt Weilheim aber machte damals einen Strich durch die Rechnung. Schließlich handelt es sich um eine Bundesstraße, für die strenge Regeln gelten. Schnaller hat es aber im vergangenen Jahr geschafft, in zahlreichen Gesprächen mit Politikern und den Verantwortlichen von Ministerien und übergeordneten Behörden eine Umgestaltung grundsätzlich zu ermöglichen. "Die Gunst der Stunde ist genutzt worden", sagt er. Nach einem einstimmigen Stadtratsbeschluss wurden drei Planungsbüros damit beauftragt, Vorentwürfe für die Zone zwischen Musikschule und Johannisplatz anzufertigen, die dann in enger Abstimmung mit Bürgern und Anliegern zur Diskussion gestellt werden sollen. "Wir sind einen ganz großen Schritt vorangekommen", sagt der Zweite Bürgermeister. "Man sieht zwar noch nichts, aber die Planungen laufen."

Schnaller ist optimistisch, was die lange geforderte Belebung der Altstadt betrifft. "Ich bin der Überzeugung, es wird sich in den nächsten ein, zwei Jahren sehr viel tun." In der Arbeitsgruppe zur Marktstraße habe es bereits Vorgespräche mit den Planungsbüros gegeben, noch in diesem Jahr werde "auf alle Fälle" mit der Bürgerbeteiligung begonnen. "Wir betrachten das westliche Loisachufer, die Marktstraße und die Querverbindungen zum Fluss und zum Bergwald als eine Einheit, für die ein stimmiges Konzept gefunden werden muss." Dazu werde man die Meinung von Fachleuten einholen und dann alle Betroffenen beteiligen. "Wir müssen die Immobilienbesitzer, Geschäftsleute und alle Anlieger mitnehmen."

Dietlind Diepen, Vorsitzende des Arbeitskreises Stadtlandschaften im Verein "Lebendige Altstadt Wolfratshausen" (LAW) ist angesichts der Entwicklung "verhalten optimistisch", wie sie sagt. "Im Moment hat man das Gefühl, sie sind dran, zu verstehen, dass man etwas tun muss", sagt die ehemalige Stadträtin über die Politiker im Rathaus. Dass die Altstadt bei den Überlegungen zur Umgestaltung nun gesamtheitlich gesehen werde, sei positiv. Als der LAW das in der Vergangenheit immer wieder gefordert habe, habe das die Stadt "bestenfalls zur Kenntnis genommen". Die vergangenen Jahre seien "sehr frustrierend" gewesen, sagt Diepen, die seit 1968 in Wolfratshausen lebt. "Dem Stadtrat fehlt der Mut", klagt sie. Stets werde eher das Trennende und die Schwierigkeiten betont, statt gemeinsam eine wegweisende Entscheidung zu treffen. Den Plan zur Umgestaltung des Loisachufers gebe es bereits seit 1976, mehr als vier Jahrzehnte warte man auf seine Umsetzung.

Dass es für die Altstadt nun neue Hoffnung gebe, liege vor allem am neuen Stadtmanager Stefan Werner, der im Februar sein Amt angetreten hat. Der mache eine "hervorragende Arbeit", sagt Diepen. "Er führt die vielen losen Fäden endlich mal zusammen zu einem gemeinsamen Konzept. Davon hatte die Stadt nie eins." Die Arbeit des City-Managers, der nun alle Einzelhändler, Gastronomen und Betriebe für den 11. Juni zum ersten Gewerbetreffen eingeladen hat, vergleicht Diepen mit der eines Bauherren: "Der eigentliche Hausbau geht schnell, aber vorher muss man einen Plan machen und das Fundament schaffen." Material gebe es für Werner genug. "Er muss es nur zusammenbringen und so vortragen, dass auch die Zögerlichen sagen: Jetzt machen wir's", sagt Diepen - und räumt ein, dass das für den Stadtmanager eine "psychologische Herkulesaufgabe" werde.

Dass es seit langem durchaus schlüssige Konzepte für die Altstadt gebe, habe sie erst kürzlich wieder schmerzlich erfahren, sagt Diepen. Beim Kramen in ihren Schubladen habe sie ein Gutachten des Büros Schreiber gefunden - von 1986. "Da war alles drin: Parken, Aufenthaltsqualität und Verkehrsführung", sagt Diepen. "Wenn man das durchliest, wird man sehr traurig.

Hätte man daraus damals ein grundlegendes Ziel formuliert und es sukzessive durchgesetzt, wäre das jetzt erledigt. Dann wären wir heute nicht in der Situation."

Die ist alarmierend, sagt auch Schnaller. "Der Ist-Zustand ist so drastisch, dass wir etwas machen müssen", sagt der Zweite Bürgermeister. "Hoffen reicht da nicht mehr. Wir müssen im Konkurrenzkampf mit anderen Kommunen unsere Stadt attraktiver gestalten." Die Stadt könne aber nicht alle Probleme lösen. Der Einzelhandel habe schließlich überall Kunden verloren. Auf etwa ein 25 Prozent schätzt Schnaller die Umsatzeinbußen bei Geschäftsinhabern durch den Onlinehandel. "Wir haben leider die Situation, dass jeder Ladenbetreiber extrem gefordert ist", sagt er. Jeder müsse sich überlegen, wie er positioniert sei und was er tun könne, um den Kunden etwas besonderes zu bieten. "Früher haben wir unsere Waren verteilt", sagt Schnaller. "Jetzt müssen wir sie verkaufen."

Tobias Krätschmar will das nicht mehr tun. Auch wenn sich die Wolfratshauser Altstadt in den kommenden Jahren zu einer attraktiven Einkaufsmeile mit hoher Aufenthaltsqualität entwickeln sollte: Einen Gummibärchenladen, sagt er, werde es dort nicht mehr geben.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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