Eine unbeschwerte Reise in die Fantasie:Traumhaft

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Gerd Lohmeyer in der Rolle des alten Mannes, der an seine Kindheit mit dem Maler Max zurückdenkt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Münchner Metropoltheater bringt "Der Sammler der Augenblicke" von Quint Buchholz auf die Bühne der Wolfratshauser Loisachhalle.

Von Sabine Näher, Wolfratshausen

Die Bühne ist ein schwarzer, fast leerer Raum; im Hintergrund eine große weiße Leinwand, in der Mitte ein brauner Schrankkoffer, links ein Stuhl nebst Notenpult. Dieser Anblick stimmt die Besucher am Donnerstagabend in der gut, wenn auch nicht komplett gefüllten Loisachhalle ein. Dann wird es dunkel, und als das Licht wieder aufflammt, steht da wie aus dem Nichts ein Mann, den Griff des großen Koffers in der linken, einen Geigenkoffer in der rechten Hand. Auf der Leinwand im Hintergrund erscheint sein Bild, wird immer näher herangezoomt, bis sein Gesicht, mit geschlossenen Augen, die ganze Fläche einnimmt. Als das Bild einfriert, beginnt die Aktion davor. Der Mann nimmt die Geige heraus, zupft an ihren Saiten und beginnt zu erzählen.

So der ungewöhnliche Beginn eines Theaterabends, der mit dichter Atmosphäre die Zuschauer umgehend in seinen Bann zieht. Quint Buchholz' "Der Sammler der Augenblicke" erschien 1997, wurde mit vielen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet und schaffte es sogar auf die New-York-Times-Book-Review-Liste der zehn besten Bücher. 1957 in Stolberg geboren, studierte Buchholz Kunstgeschichte, Malerei und Grafik an der Kunstakademie in München. Zunächst arbeitete er als Maler und Illustrator fremder Werke; seit 1988 veröffentlicht er zudem eigene Geschichten, die er selbst illustriert. Dazu zählt "Der Sammler der Augenblicke", dessen erste Theaterfassung 2008 in Frankreich Premiere hatte. In der Loisachhalle stand nun Gerd Lohmeyer in einer Produktion des Münchners Metropoltheaters auf der Bühne (Regie: Jochen Schölch, künstlerische Mitarbeit: Quint Buchholz).

Erst allmählich erschließt sich, dass da ein alter Mann eine Geschichte aus seiner Jugend erzählt, in deren Mittelpunkt ein das Kind faszinierender Maler namens Max steht. "Abends hat Max gesungen. Nachdem er mich einmal Geige spielen hörte, bat er mich, zu spielen, während er sang", sinniert der Mann und verliert sich in seinem Geigenspiel. In dieses fließen allmählich die Töne eines Akkordeons ein. Dessen Spielerin nähert sich behutsam und lässt sich auf einem Stuhl am Bühnenrand nieder. Fortan wird Jolanta Szczelkun die Erzählungen des namenlosen Mannes atmosphärisch untermalen sowie seiner Geige Duo-Partnerin sein.

Auf liebenswerte Art versponnen wirkt Lohmeyer in seiner Rückbesinnung und schafft es zwischendrin, gleichsam zu dem Kind zu werden, von dem er erzählt. So sitzt er im Schneidersitz vor dem geöffneten Koffer, der eine ganze Bibliothek enthält, und spielt wie ein kleiner Junge. Sein riesiges Porträt auf der Leinwand hat sich indes zu dem eines Knaben verjüngt. Man erfährt, dass Max seine fertigen Bilder stets mit dem Rücken zum Raum an die Wände des Ateliers stellte, sodass das Kind sie niemals zu Gesicht bekam. Doch Max' Erzählungen von seltsamen Dingen wie Schnee-Elefanten oder fliegenden Zirkuswagen faszinieren den Jungen.

Und dann verreist der Maler und gibt ihm den Schlüssel zu seiner Wohnung. Als er diese zum ersten Mal scheu betritt, findet er die Tür zum Atelier offen - und die Bilder umgedreht. Und nun beginnt ein Reigen, der dem Zuschauer wie eine Traumsequenz erscheint. Auf der Leinwand werden Max' Bilder sichtbar, doch mit ihnen gehen merkwürdige Dinge vor. In einer Schneelandschaft tauchen die Schnee-Elefanten auf, bis das dichte Schneetreiben alles auslöscht. Aus Schnee wird grüne Wiese, am Himmel taucht der fliegende Zirkuswagen auf, wird immer näher herangezoomt, bis man durch sein Fenster schauen kann. Der Erzähler wird bisweilen hinter der Leinwand, quasi als Teil des Bildes, sichtbar, tritt hin und wieder aus diesem hervor und taucht wieder ab. Ähnlich fühlt sich auch der Zuschauer in diesen rätselhaften Bilderreigen hineingezogen. Wem es gelingt, sich dieser Traumwelt zu öffnen und hinzugeben, der erlebt eine herrlich unbeschwerte Reise mitten hinein in die Fantasie. Losgelöst, schwerelos ... Dass da plötzlich ein mächtiger Löwe in einem kleinen Boot über das Wasser gleitet, neben dem ein kleines Mädchen steht, erstaunt schon gar nicht mehr. So geht's im Traum schließlich auch zu. "Meine Bilder müssen immer ein Geheimnis haben. Auch für mich", zitiert der Erzähler den Maler. "Ich bin nur ein Sammler. Ich sammle Augenblicke..."

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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