Ein Meistersolist im Isartal:Fesselnd gespielt, vorbildlich gelauscht

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Kann ein Klavierabend vor schwer ausgedünnten Reihen gelingen? Der koreanische Pianist Chi Ho Han trifft in Icking auf dankbare Zuhörer - und begeistert sie mit Beethovens letzten Sonaten

Von Paul Schäufele, Icking

Von den fünf großen Romanen des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski sprach dessen deutsche Übersetzerin Swetlana Geier gerne als von den "fünf Elefanten". Die drei Elefanten der Klaviermusik könnte man in den letzten Beethoven-Sonaten Opus 109 bis 111 sehen - rätselhafte Werke, die immer wieder diejenigen in Verlegenheit bringen, die dafür Worte zu finden versuchen. Nicht unbedingt einfacher hat es, wer die Sonaten-Trias aufführen möchte. Doch der koreanische Pianist Chi Ho Han stellt sich der Aufgabe in Icking und zeigt die Spätwerke als Musik, die das Sublime einfach macht und das Schlichte erhaben.

So fließen die Anfangsakkorde der E-Dur-Sonate ganz frei von Chi Ho Hans Händen als wäre es eine Improvisation, die dann brüsk unterbrochen wird von einem stürmischen Moll-Teil. Den spielt der koreanische Pianist unerbittlich und direkt, sofort ist der Charakterwechsel vollzogen: Chi Ho Hans Beethoven ist, bei allem Sinn für die planvolle Architektur der Kompositionen, ein Meister der Plötzlichkeit. Denn genauso schnell, wie der Sturm gekommen ist, verzieht er sich auch, zugunsten des Variationensatzes, dem Gravitationszentrum der Sonate. Chi Ho Han gelingt hier, im Thema das Kunststück, die Eigenschaften eines Quartettsatzes mit denen eines Klavierakkords zu verbinden. Jede der Stimmen hat ihren Verlauf in der Zeit und ihren Ort im Zusammenklang. Am Ende wird dieses Thema wiederkommen, nach Variationen, in denen Chi Ho Han einen lyrischen Walzer dreht, Sechzehntel in einer Bach-Imitation rattern lässt oder mit einer pastoral anmutenden vierten Variation Ruhe einkehren lässt, zumindest für den Moment. Da wirkt die Rückkehr des Themas umso tröstlicher, ein Ausatmen nach extremem Auf und Ab.

Zwischen Wilhelm Kempff und Glenn Gould

In der Genauigkeit seiner Artikulation erinnert er manchmal an Glenn Gould, durch den Blick fürs Ganze ist aber auch der Vergleich zu alten Beethoven-Größen wie Wilhelm Kempff nicht allzu weit hergeholt. In jedem Fall wird hier ein subtil differenzierter Beethoven präsentiert, empfindsam und donnernd, egoistisch und weltumarmend.

Das Publikum ist fasziniert, was sich vor allem in den Momenten der Stille zeigt. Kein Hüsteln, kein Rascheln ist zu vernehmen. Man ist froh, dass unter den jetzigen Bedingungen überhaupt Kultur präsent bleibt. Nur ein Viertel der üblichen Plätze ist belegt, was dem Ganzen einen speziellen Charakter verleiht. "Unser Kreis wird immer intimer", sagt Veranstalterin Bettina Gaebel, "bald könnten wir die Konzerte in einem Wohnzimmer machen." Dazu würde auch der Weihnachtsbaum passen, der die Bühne ziert. Aber natürlich sind es gerade die leeren Reihen, die für Sicherheit sorgen, wie Gaebel betont. Dafür sei das Publikum dankbar, dem auch im kommenden Halbjahr jeweils durch zwei Konzerte desselben Programms die Chance gegeben wird, in den Musikgenuss zu kommen.

Im Konzertsaal des Gymnasiums darf nur ein Viertel der Plätze besetzt sein. (Foto: Hartmut Pöstges)

Und was sagt der Künstler dazu, der sonst im Wiener Musikvereinssaal und der Zürcher Tonhalle spielt? "Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich für eine oder für tausend Personen spiele. Es kommt auf die Verbindung zum Publikum an, und die ist hier in Icking sehr direkt. Ich spüre, wie konzentriert die Leute zuhören. Das gibt mir viel Spannung beim Spielen."

Und als sollte diese direkte Kommunikation nach Möglichkeit nicht unterbrochen werden, setzt Chi Ho Han direkt mit der mittleren Sonate der Trilogie ein, einem Muster klassischer Ausgewogenheit, fließend und in heiterem As-Dur. Da kann der zweite Satz nur als Katastrophe wahrgenommen werden. Auch hier scheut sich der Pianist nicht, laut zu werden. Fast ist der Klang zu groß für den Saal. Aber schließlich ist es auch ein furchtbarer Moment, den das folgende Arioso zu verarbeiten sucht, schmerzvoll, ja, aber in dieser Interpretation bemerkenswert kühl. Erst wenn es zum zweiten Mal erscheint, um einen Halbton erniedrigt, erreicht Chi Ho Han ein depressives Maximum. Hier scheint kaum ein Ausweg möglich. Und als dann doch das erlösende Fugenthema in Dur auftaucht, ist der Moment so unwirklich, dass kaum einer sich zu bewegen wagt. Zu faszinierend ist, wie Chi Ho Han in der Musik aufgeht, bis zum vollends gelösten Schlusstanz.

"Ich fühle mich sehr wohl mit diesen Sonaten, weil sie ganz verschiedene Eindrücke und Emotionen enthalten. Es ist sehr menschliche Musik, also darf man sie auch nicht zu heilig spielen." So wie Chi Ho Han formuliert, spielt er auch. Beethovens letzte Sonate ist ein randvolles Gefäß musikalischen Ausdrucks, so streng wie empfindsam, ohne dass die romantische Seite des Geschehens überbetont würde. Im Gegenteil, dass der zweite und letzte Satz des Werks so überzeugt, liegt daran, dass Chi Ho Han aus der Arietta nicht mehr macht, als sie ist: eine kleine Arie - die dann spannungsreich umspielt wird.

Beethovens letzte drei Sonaten sind Musik, die viel in Menschen auslöst. Den Pianisten machen sie dankbar, Musiker zu sein, wie er sagt. Und das Publikum machen sie dankbar, diese Musik hören zu dürfen, wenn sie so aufgeführt wird, in ihrer besten Form.

© SZ vom 14.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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