Ein besonderer Ehrentag:"Die Liebe ist sehr wichtig"

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Der Wolfratshauser Heinz Kunze ist der zweitälteste Bewohner der Stadt. Kürzlich hat er seinen 105. Geburtstag gefeiert. Er lebt nicht nur selbständig, er ist auch immer noch ein versierter Elektrotechniker. Ein Gespräch über ein langes und bewegtes Leben.

Von Vinzenz Gabriel, Wolfratshausen

Wer Heinz Kunze sieht, wie er den versammelten Gratulanten, darunter der Wolfratshauser Bürgermeister Klaus Heilinglechner, gestenreich erklärt, wie ein Radioempfänger technisch funktioniert, so ist es kaum zu glauben, dass dieser Mann gerade seinen 105. Geburtstag feiert. Der zweitälteste Wolfratshauser Bürger scheint mit dem Innenleben der heutigen Technik vertrauter als viele jüngere Menschen. Auch der Computer ist Kunze nicht fremd, seinen Laptop benutzt er unter anderem, um damit Bilder zu bearbeiten. Dass der ehemalige Elektroniker seinen Beruf geliebt hat, ist ihm anzumerken. Mit vielen Fachbegriffen versucht er, den Anwesenden an seinem Ehrentag die Funktionsweise des Radios zu erklären. "Wer nicht versteht wie das Gerät funktioniert, der kann es auch nicht reparieren", so sein Credo.

Während Kunze den Ersten Weltkrieg nur als kleines Kind erlebte, war er während des Nationalsozialismus bereits ein junger Erwachsener. Im Zweiten Weltkrieg blieb ihm wegen eines Sehfehlers im linken Auge ein Einsatz an der Front erspart. Dennoch wurde er eingezogen, erzählt er, und war aufgrund seiner Qualifikationen als Elektrotechniker in Wismar stationiert, um für die Technik und die Aufrechterhaltung der Telekommunikationswege zu sorgen. Ein Freund der Nazi-Ideologie war er nicht.

Da sein Vater für die sozialdemokratische Zeitung Vorwärts arbeitete, war er als junger Erwachsener immer wieder Übergriffen und Anfeindungen der Hitlerjugend ausgesetzt. 1943 wurde er aufgrund einer Augenerkrankung krank gemeldet und vom Kriegsdienst befreit. Er kehrte daraufhin nach Berlin zurück und half den Menschen in der zunehmend zerbombten Stadt. Nach dem Krieg folgten erst einmal entbehrungsreiche Zeiten, in denen es darum ging, das Nötigste für das Überleben zusammenzukriegen - der Schwarzmarkt florierte. "Ich weiß gar nicht mehr, wie ich es schaffte, die Familie zu ernähren, aber durch den Tauschhandel auf dem Schwarzmarkt konnten wir uns irgendwie über Wasser halten", erinnert sich Kunze. Etwas später erhielt er eine Anstellung als Elektroniker bei der Eisenbahn. Im Anschluss daran machte er sich in Berlin selbständig. Er handelte mit Radio- und Fernsehgeräten und reparierte sie. Der Laden florierte und er war ein begehrter Mann bei den Damen. Als er seine damalige Frau kennenlernte und sie heirateten, zog das Paar nach Bad Tölz. "Die Verwandten meiner Frau kamen aus der Gegend und sie wollte zurück, ich gab dafür nach 21 Jahren mein Geschäft in Berlin auf", erinnert sich der Jubilar. Aber es hatte auch etwas Gutes. "Ich wollte mit dem Umzug nach Süden meine Kriegserinnerungen, die ich mit der Stadt verband, hinter mir lassen", erzählt er.

In Bad Tölz baute er sich eine neue Existenz auf und arbeitete zunächst bei einem Unternehmen, das Steuergeräte für Flughäfen herstellte. Aber das gefiel ihm nicht so gut und er begann sich erneut etwas Eigenes aufzubauen. Wie schon zuvor in Berlin eröffnete er nun in Wolfratshausen sein eigenes Geschäft. Radios, Fernseher, Musikboxen und Spielautomaten waren in seinem Sortiment. "Als Angestellter sitzt du auch mal deine Zeit ab, aber wenn du dein eigenes Geschäft betreibst, bist du da mit Herzblut dabei."

Nach dem Scheitern seiner Ehe entschied Kunze, dennoch in Wolfratshausen zu bleiben. Seit inzwischen einem halben Jahrhundert lebt er hier: "Die Stadt hat sich sehr schön entwickelt", findet Kunze. In Wolfratshausen ist er nicht nur wegen seines hohen Alters und seiner ungewöhnlichen Vitalität bekannt. Seit etwa dreißig Jahren hat Kunze ein Hobby für sich entdeckt, nämlich Modellschiffe zu bauen. Im Zimmer stehen mehrere rund einen Meter lange Exemplare, die ihren Originalen aus dem 16. und 17. Jahrhundert nachempfunden sind. "Ich verwende keine Bausätze, sondern mache alles selbst", erklärt Kunze stolz. Sein größte Leistung: die Victoria aus dem 16. Jahrhundert. Rund eineinhalb Meter lang ist das Schiff und geschätzt 2500 Stunden hat er in den Bau investiert. Vor zwei Jahren waren unter anderem seine Modellschiffe in der Loisachhalle ausgestellt.

Ruhige Hände hat er noch immer. Und bis vor Kurzem reparierte er noch alte Geräte. Zuletzt eine antike Musikbox für eine Freundin, die Kunze bei den Einkäufen unterstützt, im Haushalt mitarbeitet und mindestens einmal pro Woche zum Kaffeetrinken vorbeikommt. Sie erzählt: "Die Musikbox hätte niemand mehr gekannt oder groß zu reparieren gewusst, aber er hat es hinbekommen." In seiner Wohnung lebt Kunze allein, um seinen Haushalt kümmert er sich noch immer größtenteils selbst. Bis zu seinem hundertsten Lebensjahr ist er auch noch selbst Auto gefahren. Zumindest die Einkäufe muss er heute nicht mehr alleine erledigen, sie werden ihm abgenommen. Auf die Frage, was seiner Ansicht nach das Geheimnis eines solch hohen Alters ist, antwortet er: "Wenig Alkohol und Zigaretten, das macht den Körper kaputt. Aber auch die Liebe ist sehr wichtig", so sein Ratschlag.

© SZ vom 31.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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