"Dinner for four" in Benediktbeuern:Darauf ein "Brexit-Stangerl"

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Cheerio! Andreas Pehl mimt Butler James, der zum Sänger mutiert. Miss Sophie hat ihre vier Lieblingskomponisten zu Tisch gebeten - und zu jedem serviert James ein Getränk, eins für sich, eins für einen Besucher. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Same procedure as last year? Same procedure as every year! Miss Sophie und ihre musikalischen Gäste im ausverkauften Barocksaal.

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Noch nicht ganz so lange wie Miss Sophie und ihr Butler James bereichert das Ensemble Raccanto den Silvesterabend, aber Kultstatus haben der Countertenor Andreas Pehl und der Cembalist Robert Schröter mit ihren ausgefallenen musikalischen Programmideen zum Jahresabschluss seit 2001 ebenfalls längst erreicht. Und so ist der Barocksaal am Samstagabend bis auf den letzten Platz besetzt, als die beiden Musiker zum "Dinner for four" bitten, einem "musikalischen Festschmaus auf englische Art". Zum Quartett ergänzt wird das Duo durch Brendan O'Donnell an der Blockflöte und Gesine Petersmann am Barockcello.

Dass es sich (wie jedes Jahr!) nicht nur um ein Konzert, sondern ein geschickt konzipiertes und höchst amüsantes Gesamtkunstwerk handelt, wird sofort klar, als Andreas Pehl mit einem riesigen Silbertablett den Saal betritt - auf dem ein Plüschelch liegt. Mit ebenso elegant und in bester britischer Butlerhaltung servierten Tigerhausschuhen wird das Tier nun verkleidet und neben dem fein eindeckten Tischchen platziert. Dann mutiert Butler James zum Gesangssolisten - und nutzt das Silbertablett sehr elegant anstelle eines Notenständers. John Christopher Pepuschs kleine Kantate "The Spring" eröffnet das musikalische Programm: Mit silberhellen Flötentönen, einem zart perlenden Cembalo, einem samtigen Cello und der wunderbar warmen, klaren Stimme des Counters ein belebender, Aufbruchsstimmung verkündender Konzertbeginn.

Und (wie jedes Jahr!) kommt neben der musikalischen Darbietung den ebenso geistreichen wie witzigen Moderationstexten eine wichtige Rolle zu. So erfährt das erheiterte Publikum eingangs, Miss Sophie habe ursprünglich gar nicht Mr. Winterbottom und Co. eingeladen, sondern ihre vier englischen Lieblingskomponisten zu Tisch gebeten. Diese erscheinen nun in musikalischer Gestalt - und zu jedem serviert James ein Getränk, das er in zwei Gläser ausschenkt, damit ins Publikum wandert und das jeweils zweite Glas einem Konzertbesucher anbietet. Mit dem obligatorischen "skål!" schlägt er die Hacken zusammen und leert das Glas - natürlich nicht, denn anders als James muss er ja nicht nur servieren, sondern auch noch singen und moderieren. Und (wie jedes Jahr!) bringt die Moderation viel Erhellendes ans Licht, etwa dass die britischen Meister fast alle einen Migrationshintergrund haben: Pepusch und John Ernest Galliard sind gebürtige Deutsche, James Paisible ist Franzose - und selbst "der größte englische Komponist aller Zeiten", George Frederick Handel, stammt bekanntlich aus Halle an der Saale. Und so kommen Rotkäppchen-Sekt, Bockbier, Berliner Weiße und ein Kümmelkorn zum Einsatz. Ein "Brexit-Stangerl" wird gerne dazu gereicht.

Musikalisch geht's dagegen weniger deftig, sondern deutlich subtiler zur Sache: Mit einer hochvirtuosen, souverän dargebotenen Flötensonate von Pepusch etwa oder einer betörenden Cellosonate von Galliard, die Petersmann mit tief empfundenen Ausdruck meisterlich zur Geltung bringt, einem vor demonstrativer Virtuosität nur so strotzenden Cembalosolo von William Babell ("Delikat, subtil, feinsinng: Das alles ist es nicht", merkt Schröter dazu an) und natürlich etlichen Alt-Kantaten, in denen Pehl mit wunderbar vollem, warmen Klang und herrlich differenzierter Gestaltungskraft bezaubern kann. Und (wie jedes Jahr!) haben sich die Protagonisten für die Zugabe etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Nach rauschendem Beifall kehren nur die Instrumentalisten auf die Bühne zurück. Nach all den Zugewanderten soll anschließend doch noch "originalen, eindeutig englischen Musikern" gehuldigt werden, erklärt Schröter. Da betritt Miss Sophie herself, auf den Krückstock gestützt, die Bühne. Die Musiker beginnen mit Gounods (Bach verkitschendem) "Ave Maria". Englisch?? Doch dann setzt Pehl unvermittelt mit "Yesterday" ein, das sich mit betörend schönen Klängen in eine unendlich traurige Wehklage verwandelt. Lauter Jubel im Publikum! Und im Abgang hüpft Miss Sophie elegant über den Tiger-Elch.

© SZ vom 02.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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