Digitale Konferenz:Nein zum Urwahl-Antrag

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Per Videoschalte diskutiert der Grünen-Kreisverband über eine Stärkung der direkten Demokratie. Der Antrag, das Thema noch einmal auf Bundesebene zur Abstimmung zu bringen, wird jedoch abgelehnt

Von Felix Haselsteiner, Bad Tölz-Wolfratshausen

Online-Sitzungen sind in diesen Zeiten politisch alternativlos. Dass aber auch eine Partei, die betont modern aufgestellt ist, noch immer eine Phase der Adaption braucht, zeigte sich am Mittwochabend bei der Online-Mitgliederversammlung der Grünen im Kreisverband Bad Tölz- Wolfratshausen. In den ersten zehn Minuten der Sitzung jedenfalls ging es um Abstimmungstools, Rederegelungen und Bildschirmanpassungen, bevor sich die Grünen mit dem Thema beschäftigen konnten, dessentwegen sie sich zusammengefunden hatten: Es sollte um bundesweite Volksentscheide gehen - und darum, wie sich der Kreisverband zur Entscheidung der eigenen Partei positioniert, die Forderung nach solchen Volksentscheiden nicht mehr ins Grundsatzprogramm aufzunehmen. Dieses weise bei Themen wie Klimaschutz und Digitalisierung zwar in die richtige Richtung, so Vorstand Marius Schlosser. Die Basisdemokratie allerdings sei "seit der Gründung der Partei ein großer Wert" gewesen - sich nun nicht mehr dafür auszusprechen, habe bei den Grünen für eine Kontroverse gesorgt.

Den Antrag über eine Urabstimmung zur Einführung des bundesweiten Volksentscheides hatte Franz Mayer-Schwendner eingebracht, die Grünen wollten darüber allerdings nicht nur intern diskutieren - sondern sich auch mit Experten austauschen. Am Mittwochabend waren daher auch zwei Referenten eingeladen: Zum einen Ralf-Uwe Beck vom Bundesvorstand des Vereins "Mehr Demokratie", der sich mit seinem Verein seit Jahren für eine Stärkung der direkten Demokratie einsetzt.

Digitale Runde: Ein paar kleine Schwierigkeiten gab es noch, aber im Großen und Ganzen verlief die Online-Debatte der Kreis-Grünen reibungslos - auch wenn sie inhaltlich durchaus kontrovers war. (Foto: Screenshot/oh)

Becks Plädoyer drehte sich darum, dass "für die Umsetzung der Demokratie die Wahlen nicht ausreichen". Um nicht nur auf Länderebene, sondern auch auf Bundesebene Volksentscheide durchführen zu können, brauche es daher eine Grundgesetzänderung, sagte er. Mit den derzeitigen Möglichkeiten, sich als Bürger politisch einzubringen, bleibe man letztendlich immer in der Bittstellerrolle gegenüber der Politik. Dass die Grünen sich nun für Bürgerräte anstatt für bundesweite Volksentscheide einsetzten, würde dieses Problem nicht aus der Welt schaffen. Die direkte Demokratie gebe den Bürgern die Möglichkeit, sich an den politischen Debatten vorbei durchzusetzen. "Die repräsentative Demokratie wird durch die direkte Demokratie veredelt", sagte Beck.

Gegenrede kam vom zweiten eingeladenen Gast-Referenten: Ulrich Gensch, der als Sprecher der grünen Landesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht gegen die verstärkte Forderung nach direkter Demokratie argumentierte. Gensch betonte in der Videokonferenz, die LAG sei für die Weiterentwicklung demokratischer Strukturen, allerdings nicht über Volksentscheide. Diese könnten als Konkurrenz zu den gewählten Volksvertretern zu einer Stärkung des "vermeintlichen Volkswillens" führen. Volksentscheide kennten schließlich nur "Ja" oder "Nein" - und würden somit mehr spalten als zusammenführen. Man dürfe "das Konkurrenz-Fass gar nicht erst aufmachen", warnte Gensch die Parteimitglieder.

Am Ende gibt es laut Grünen-Sprecherin von Beckenrat ein "verdammt knappes Ergebnis"

Letztendlich waren vor allem die konkreten Beispiele für die Sitzungsteilnehmer entscheidend. Das bayerische Volksbegehren zum Artenschutz wurde in der offenen Fragerunde - in der sich dann doch zeigte, dass Politik auch im Videocall funktionieren kann - mehrfach als positives Exempel dargestellt, der Brexit und das gescheiterte Volksbegehren gegen Atomkraft in der Schweiz als Argumente gegen die direkte Demokratie. Initiator Franz Mayer-Schwendner - seit 40 Jahren Mitglied bei den Grünen - plädierte schließlich noch einmal für seinen Antrag: "Natürlich kann bei Volksentscheiden etwas anderes rauskommen, als man will", sagte er. Aber: "Wir müssen uns auf Fakten und Wahrheiten berufen - und da können Volksentscheide wichtig sein und befriedend wirken."

Doch auch Mayer-Schwendners emotionales Schlussplädoyer konnte an der Entscheidung gegen seinen Antrag nichts mehr ändern. 13 zu elf Stimmen sorgten dafür, dass der Antrag vom Kreisverband abgelehnt wurde. Es sei ein "verdammt knappes Ergebnis", das die Debatte auf der Bundesversammlung der Grünen allerdings gut repräsentiere, so Jovana von Beckerath, Sprecherin im Kreisverband. Ihr treffendes Fazit: "Es ist ein Thema, das uns Grüne einfach schwer beschäftigt."

© SZ vom 29.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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