Der Ostuferschutzverband lädt ein:"Schlager sind Spiegel"

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Als Bub schmetterte Anatol Regnier "Mariandl" mit, wenn das Lied im Radio lief. Nun wirft er einen differenzierteren Blick auf die Lieder, die von 1929 bis 1969 das deutsche Volk bewegten.

Stephanie Schwaderer

"Vordergründig geht es fast immer um die Liebe": Anatol Regnier präsentiert in seinem neuen Programm Schlager mit zeitgeschichtlicher Relevanz. (Foto: N/A)

"Ich tanze mit dir in den Himmel hinein" heißt das neue Programm von Anatol Regnier, das nicht nur heiter und beschwingt zu werden verspricht. Der Ambacher Literat und Musiker hat sich dem deutschen Schlager mit kühlem Kopf genähert und einige Entdeckungen gemacht. In Münsing stellt er sie auf Einladung des Schutzverbands für das Ostufer des Starnberger Sees vor.

SZ: Erinnern Sie sich noch an den ersten Schlager, den Sie als Kind mitgesungen haben?

Anatol Regnier: Lassen Sie mich nachdenken. Der ging: "Mariandl, du hast mein Herz am Bandl, Bandl, Bandl", ich weiß gar nicht, wer das gesungen hat. Und: "Da sprach der alte Häuptling der Indianer."

Sie sind 1945 geboren. Welche Erinnerungen haben Sie noch an diese Zeit?

Wir haben damals in Sankt Heinrich gewohnt, alles war sehr, sehr einfach. Fleisch gab es nur gelegentlich, das Gemüse kam aus dem Garten. Butter war etwas Kostbares. Meine Mutter hat das Einwickelpapier aufgehoben und damit, wenn es einmal Kuchen gab, diesen abgedeckt, damit auch das letzte Restchen abgeschöpft wurde. Wir hatten keinen Plattenspieler und keinen Fernseher, aber das Radio lief - und spielte Schlager.

Was hat sie dazu bewogen, diesen nun ein ganzes Programm zu widmen?

Schlager sind ein guter Spiegel der Zeitgeschichte. Dazu muss man die Texte allerdings genau lesen und hinterfragen: Wer hat das geschrieben, wann, warum? Dann liefern sie einem ein schönes Zeitbild.

Sie beleuchten die Jahre von der Weltwirtschaftskrise über die NS- und Kriegszeit bis zum deutschen Wirtschaftswunder. In diesem Zeitraum gab es Hunderte Interpreten und Lieder - wie haben Sie eine Auswahl getroffen?

Ich bin immer vom Text ausgegangen und von der Frage: Gibt es eine Kernaussage, die eine zeitgeschichtliche Relevanz hat? Viele Schlager haben keine, sondern erzählen nur von der Liebe.

Was wäre eine solche Kernaussage, zum Beispiel aus den Zwanziger Jahren?

"Allein in einer großen Stadt", das hat Marlene Dietrich gesungen. Auch in diesem Lied geht es vordergründig um die Liebe, das tut es ja fast immer, aber interessant ist das Bühnenbild. Oder nehmen wir den Titel des Programms: "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein" - das war das Liebeslied der Nazis. Sehr viele Frauen haben ja für Hitler geschwärmt.

Einige große Schlagerautoren wurden unter Hitler auch im KZ ermordet.

Andere sind emigriert oder wurden unterdrückt wie Bruno Balz. Er war homosexuell und hatte fürchterliche Angst. Von ihm stammt "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn", das zum berüchtigtsten Durchhaltelied der Nazis wurde. Deshalb hat Balz nach dem Krieg dann auch noch große Probleme bekommen.

Welche Rolle spielte der Schlager in den Fünfziger und Sechziger Jahren?

Wenn alle das gleiche Lied singen, hat das etwas unglaublich Einigendes. Die Vergötterung Amerikas, die Sehnsucht nach Italien, das waren die Themen der Nachkriegszeit und des beginnenden Wirtschaftswunders. Oder nehmen Sie "Zwei kleine Italiener": Die Italiener kamen damals wirklich und waren gar nicht glücklich. Das sind gesellschaftspolitisch gesehen interessante Lieder, aber sie sind auch vom Musikalischen her wirklich gut.

Und dann kam die Popmusik und hat alles zerstört?

Die Popmusik ist auch großartig. Aber der Wortwitz ist verloren gegangen. Viele Texte, gerade auch der alten Schlager, waren spritzig und intelligent. Zum Beispiel Peter Igelhoff: "Der Onkel Doktor hat gesagt, ich darf nicht küssen" - da beschreibt er die Managerkrankheit! Von dieser sprachlichen Qualität ist heute nicht viel übrig.

Es wird also ein nostalgischer Abend?

Keineswegs. Und es wird auch keine Vorlesung. Ich habe zwei wunderbare Musiker an meiner Seite, die Sängerin Julia von Miller und den ungarischen Pianisten Frederic Hollay. Wir singen, spielen, erzählen, werfen uns die Bälle zu. Ein Schlagerabend, der nicht unterhaltsam ist, taugt nichts, es muss schon richtig schwingen und krachen!

"Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein": Deutsche Schlager von 1929 bis 1969 - eine musikalisch-literarische Zeitreise, Donnerstag, 14. März, Pizzeria Pinocchio, Hartlweg 14, Münsing, 19.30 Uhr, Karten zu zwölf Euro unter Telefon 08177/84 43 oder Christine.Kolbinger@gmx.de

© SZ vom 07.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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