Studie in Bad Tölz vorgestellt:Das lange Leiden an Covid 19

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Long Covid kennt viele Symptome, eines der häufigsten und tückischsten ist chronische Erschöpfung, auch Fatigue genannt. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)

2909 Patienten beteiligen sich an einer Befragung des Instituts für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der TU München und des Tölzer Gesundheitsamts. Mehr als die Hälfte von ihnen quält sich noch lange nach der Infektion mit Erschöpfung, Konzentrationsschwächen und Depressionen.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Landrat Josef Niedermaier (FW) hatte nach seiner Corona-Infektion ein gutes halbes Jahr gesundheitliche Probleme. "Sechs bis sieben Monate war bei mir an Ausdauersport überhaupt nicht zu denken", berichtet der passionierte Radfahrer. "Das war brutal." Deshalb war er selbst "extrem gespannt", wie die ersten Ergebnisse der Long-Covid-Studie ausfallen, die das Institut für Allgemeinmedizin am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München zusammen mit dem Tölzer Gesundheitsamt und Jörg Lohse, dem ärztlichen Koordinator im Landkreis, erstellt hat. Demnach haben 15 bis 20 Prozent der Patienten noch immer Beschwerden, obwohl die Infektion bei ihnen bereits mehr als anderthalb Jahre zurückliegt. "Das ist schon alarmierend", sagte Antonius Schneider, Ärztlicher Direktor des Instituts und Leiter der Studie, bei der Vorstellung am Dienstag im Landratsamt.

9287 Männer und Frauen, die 18 Jahre und älter sind, waren zum Start der Studie vor knapp vier Monaten im Landkreis mit Corona infiziert. 8925 von ihnen bekamen einen Fragebogen zugesandt, von ihnen antworteten 3120. Insgesamt 2909 füllten das fünfseitige Formular korrekt und vollständig aus. Dies entspricht einer Rücklaufquote von rund 35 Prozent. "Ich war selbst überrascht, dass so viele geantwortet haben", sagte Schneider. Gehofft habe man auf 20 Prozent, ergänzte Niedermaier. Die Befragung war anonym; die Teilnehmer mussten nur Daten wie Alter, Geschlecht oder Gewicht angeben, nicht aber Name, Adresse oder auch Impfstatus.

Die ersten Ergebnisse der Studie erläuterte Antonius Schneider, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. (Foto: Astrid Eckert/TU München/oh)

Insgesamt 18 Symptome einer Covid-19-Erkrankung wurden abgeklopft, von der Atemnot über den Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn bis hin zu Muskelschmerzen. 1531 der 2909 Adressaten gaben an, unter solchen Beschwerden zu leiden. Unter jenen, die ihre Infektion anderthalb bis zwei Jahre zuvor erlitten hatten, mussten 209 von 506 noch mit Symptomen kämpfen. "Das sind immerhin 25 Prozent", so Schneider. Bei denen, die sich im letzten Halbjahr angesteckt hatten, sind es 45,8 Prozent.

Die häufigste Beschwerde ist Fatigue, also Müdigkeit und Erschöpfung. Jeder vierte Post-Covid-Patient leidet darunter, egal ob er sich vor sechs oder vor 24 Monaten infiziert hat. Dieses Krankheitsmerkmal hat Schneider zufolge ein "erheblich größeres Ausmaß" als in einer Vergleichsgruppe mit normalen Atemwegserkrankungen. Charakteristisch sind neben Atemnot auch Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, die auch nach mehr als 18 Monaten unvermindert auftreten. "Das Virus erreicht schon nach wenigen Tagen der Infektion Herz und Gehirn", erklärte Schneider. Dagegen verbessern sich Geruchs- und Geschmackssinn mit der Zeit wieder.

Eine andere Long-Covid-Folge sind Depressionen. "15 bis 20 Prozent der Menschen mit Post-Covid-Symptomen zeigen auffällige Depressionswerte", sagte Schneider. Ein hoher Wert, der Lohse aus seinen Beobachtungen als praktizierender Hausarzt ein wenig verblüffte. "Aus der Studie nehme ich mit, dass viele Patienten still zu Hause sitzen und leiden", sagte der Initiator der Untersuchung. Aus der Befragung ergibt sich für Schneider, dass bis zu 20 Prozent der Post-Covid-Patienten unter Langzeitbeschwerden leiden und auch unter "einem erhöhten Leidensdruck" stehen.

Die Ergebnisse der Befragung seien "wichtig für ein verbessertes Krankheitsverständnis", sagte der Ärztliche Direktor. Außerdem könne man daraus Hilfsangebote entwickeln. Zum Beispiel in der Psychotherapie, im Selbstmanagement, mit Info-Material oder auch mit Selbsthilfegruppen. Für Stephan Gebrande, den Leiter der Tölzer Gesundheitsamts, dient die Studie vor allem dazu, "dass man noch zielgerichteter und besser die Personen, die Symptome haben, versorgen kann".

Allerdings schränkte Koordinator Lohse ein, das es sich um eine beschreibende, nicht um eine erklärende Arbeit handle. Aus den Resultaten der Studie nun Kausalitäten abzuleiten, sei ganz schwierig. Allerdings, so Lohse: "Sie kann mir als Hausarzt den Blick schärfen." Bei aller Individualität der Patienten und der vielfältigen Folgen einer Covid 19-Erkrankung sei es schon vonnöten, dass die Wissenschaft analysiere und kategorisiere. "Für sie sind Schubladen wichtig, und ich kann diese Schubladen bei der Behandlung im Hinterkopf behalten." Studienleiter Schneider verwies nochmals auf das Fatigue-Syndrom. In der Forschung gebe es eine Gruppe, die diesen Schwächezustand als spezifisch für Corona betrachte, für eine andere sei er eher Ausdruck einer depressiven Reaktion. Die Wahrheit liege wohl irgendwo in der Mitte, meinte Schneider. Aber: "Schwächegefühl ist schon ein bisschen was Spezifisches für Post Covid."

Körperliche Fitness-Programme gegen Fatigue, psychosomatische Begleitung wie Coaching, Selbstmanagement und Selbsthilfegruppen - dies liest Schneider als Handlungsansätze aus der Studie heraus, die erst noch ganz ausgewertet werden muss. Für Lohse kommt es darauf an, medizinische Fähigkeiten in der Region und Erkenntnisse aus der Befragung zu bündeln. "Der erste Job ist jetzt, zu verflechten und eine Landkarte zu erstellen, auf der man sehen kann, wo wird was gemacht."

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