Cannabisgesetz bringt Justiz und Polizei Mehrarbeit:"Im Moment ist es verheerend"

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Seit April dieses Jahres greift das Gesetz zur Teillegalisierung von Cannabis - und das beschäftigt Behörden und Justiz im Landkreis gehörig. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die Polizei im Landkreis muss zusätzliche Abstandsregeln zum Konsum kontrollieren. Und weil eine rückwirkende Amnestie gilt, muss die Jugendstrafrichterin am Amtsgericht viele Verfahren erneut prüfen.

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Das neue Gesetz zur Teillegalisierung von Cannabis der Bundesregierung macht Polizei und Justiz im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zumindest aktuell mehr statt wie versprochen weniger Aufwand. "Im Moment ist es verheerend", sagt Friedrike Kirschstein-Freund. Weil die ab 1. April geltende Regelung eine rückwirkende Amnestie für Vergehen vorsieht, muss die Jugendstrafrichterin am Wolfratshauser Amtsgericht 105 Vollstreckungsverfahren nochmals überprüfen. Das bedeutet, Akten zu studieren, Verurteilte anzuschreiben und neu über das Strafmaß zu entscheiden. Das ist dann besonders aufwendig, wenn Täter zusätzlich wegen weiterer strafbarer Delikte verurteilt worden sind.

Wer versucht, bei den Polizeiinspektionen im Landkreis näher nachzufragen, wird an das übergeordnete Präsidium Oberbayern Süd in Rosenheim verwiesen - und erhält eine ebenso klare Antwort. "Wir setzen die gültige Rechtslage um", so Sprecher Daniel Katz. "Ich würde nicht sagen, dass das eine Entlastung ist."

In einer umfangreichen Stellungnahme hat der Deutsche Richterbund bereits den Entwurf des neuen Gesetzes kritisiert. Die Neuregelung erlaubt Erwachsenen, bis zu 25 Gramm unterwegs dabeizuhaben und bis zu 50 Gramm zu Hause zu besitzen. In den eigenen vier Wänden darf jede volljährige Person bis zu drei Cannabispflanzen im Eigenanbau haben. Weiterhin sind zahlreiche zusätzliche Vorschriften zu überwachen. Verboten ist es etwa, Cannabis in Sichtweite von Schulen oder Kinder- und Jugendeinrichtungen zu konsumieren. Auf Kinderspielplätzen oder in öffentlich zugänglichen Sportstätten beziehungsweise in deren Sichtweise ist das zudem unzulässig. Unerlaubt ist ebenso etwa in "unmittelbarer Gegenwart" von Minderjährigen unter 18 Jahren zu kiffen.

Mehr Augenmerk auf Kinder- und Jugendschutz

Von einem größeren Augenmerk auf den Kinder- und Jugendschutz spricht daher der Sprecher des Rosenheimer Polizeipräsidiums. Darunter fällt für Katz insbesondere, verstärkt zu Cannabis aufzuklären und Präventivarbeit zu leisten. Generell müsse die Praxis zeigen, wie sich der Cannabiskonsum mit den Neuregelungen weiter entwickele. Katz lässt allerdings durchblicken, dass mit deutlich weniger Aufwand für die Polizei wohl künftig nicht zu rechnen sei. Nach der Legalisierung sei damit zu rechnen, dass mehr Personen öffentlich kifften, sagt er. Zudem blieben Straftatbestände wie illegaler Besitz oder Handel treiben weiterhin bestehen. "Das wird uns weiter beschäftigen", so Katz. Denn es werde Personen geben, die sich nicht an die Beschränkungen halten.

Noch ungeregelt ist, was das neue Cannabisgesetz für Menschen bedeutet, die bekifft mit dem Auto unterwegs sind. Vorerst gilt wie bisher weiterhin, dass Geldbußen oder Punkte in Flensburg drohen, wenn Cannabis allein nachgewiesen wird. Ordnungswidrig handelt demnach, wer unter Wirkung eines berauschenden Mittels ein Kraftfahrzeug führt. In der Rechtsprechung hat sich ein Wert von einem Nanogramm THC je Milliliter Blut etabliert. Das bleibt erst einmal gültig, auch wenn eine Expertenkommission inzwischen eine THC-Obergrenze von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum vorgeschlagen hat. Um Neues vorzuschreiben, müssten erst die Regelungen zum Straßenverkehr gesetzlich geändert werden.

Aufgabe der Polizei sei es aber allein zu kontrollieren, ob Ausfallerscheinungen wie Lallen, schwankender Gang oder Ähnliches vorlägen, sagt Präsidiumssprecher Alexander Huber. Für die weitere Strafverfolgung sei die Staatsanwaltschaft zuständig.

Nur ein Verfahren pro Monat weniger

Zurück am Wolfratshauser Amtsgericht rechnet zumindest Jugendstrafrichterin Kirschstein-Freund auch künftig kaum, durch das neue Cannabisgesetz in ihrem Aufgabengebiet entlastet zu werden. Für das Jahr 2023 zählt sie 206 Verfahren auf, die sie geführt hat - Schöffengerichtsverfahren nicht inklusive. "Davon waren 35 Betäubungsmittelverfahren", so Kirschstein-Freund. Darin sei es aber nicht nur um Cannabis gegangen. Grob geschätzt fiele durch die jetzige Gesetzesneuregelung etwa ein Verfahren pro Monat weg. Das werde nicht zu großen Arbeitsentlastungen führen.

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