Campingplatz Wolfratshausen:Ein Zuhause auch für Sinti

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Oft schlägt ihnen bei Reisen Rassismus entgegen: Der Wolfratshauser Campingplatz am Badweiher aber heißt auch Sinti herzlich willkommen.

Felicitas Amler

Mobil zu sein, das ist in unserer globalisierten Welt ein Wert an sich. Wer mobil ist, der gilt als flexibel und stets einsatzbereit - ist also besonders gefragt. Eine bestimmte Art der Mobilität allerdings weckt bei manchen Zeitgenossen ganz andere Assoziationen: die der Sinti und Roma, die in Familienverbänden mit ihren Wohnwagen unterwegs sind. Ihnen schlägt oft der blanke Rassismus entgegen. Romano Strauß, 60, kennt die Vorurteile alle: "Arbeitsscheu" seien sie, "Zieh-Gäuner" werden sie genannt, und was bei anderen als freies Handelsgewerbe anerkannt sei, werde bei ihnen als unlauter angesehen. Manche Campingplätze dieses Landes bleiben Menschen wie Strauß verwehrt: "Besetzt", laute oft die Ausrede, erzählt er aus vielfacher Erfahrung.

Offen und tolerant: Der Campingplatz am Badweiher. (Foto: Hartmut Pöstges)

Am Dienstagmittag ist Romano Strauß mit Frau, Söhnen, Tochter und Enkeln in der Badstraße 2 in Wolfratshausen angekommen. Das Tor des Campingplatzes war offen, die großen Wohnwagen fanden gleich bei der Einfahrt Platz. Ein wenig Rangieren, Auspacken, Gartenmöbel aufstellen - und man war da. Strauß weiß, wie er mit "dem Micha" dran ist: Michael Kramer, Pächter des Campingplatzes am Badweiher, sei schwer in Ordnung, davon habe er sich in früheren Gesprächen überzeugen können: "Ich hab' mich gewundert, wie offen er ist."

Offen meint hier schlicht: Er verweist die Sinti-Familie, die dafür zahlt wie jeder andere Nutzer auch, nicht des Platzes. Und das, so berichtet wiederum Kramer, obwohl er von einigen anderen Campern nachdrücklich dazu aufgefordert werde. Da sei mancher der Meinung, die Sauberkeit in den sanitären Anlagen sei gefährdet. Oder die Sicherheit auf dem Platz. Und überhaupt: "Zigeuner!"

So alt, so dauerhaft sind Vorurteile. Und so gegen alle Vernunft. "Wir leben seit 500 Jahren in Europa", sagt Romano Strauß über sein Volk. Aber immer noch wüssten die anderen viel zu wenig über sie. Das Schlimmste sind für ihn daher nicht direkt gezeigte Aversionen und Affekte. Sondern: "Wenn die Leute gar nicht auf uns zugehen."

Strauß ist beruflich mit solchen Fragen konfrontiert. Er arbeitet als Sozialberater im hessischen Verband der Sinti und Roma. Es gebe nur noch 70.000 Sinti und Roma in Deutschland, sagt er. "Und ganz wenige sind noch unterwegs. Weit weniger als die Hälfte." Er und seine Familie etwa haben einen festen Wohnsitz in Neunkirchen und sind maximal drei Monate im Jahr mobil. Dagegen seien in Deutschland 30.000 Schausteller auf Achse, 20.000 Zirkusleute "und eine große Menge an Vertretern".

Aber wer hat schon Vorurteile gegen Vertreter? Viele Sinti, auch in seiner Familie, seien nichts anderes als freie Handelstreibende, die ihr Gewerbe angemeldet haben und ihre Steuern zahlen. "Das ist etwas ganz Normales." Etwas Normales in dem Land, dessen Staatsbürger diese Menschen sind. "Das ist unser Land", sagt Strauß, "wir haben dieses Land mit aufgebaut."

"Arbeitsscheu"? Strauß hat auf diese Diskriminierung seine ganz persönliche Antwort: "Mein Vater war Dachdecker. Meine Mutter hat in den Farbwerken Hoechst gelernt. Die haben sie beide von der Arbeit weggeholt." Sie - das waren die Nazis. Und geholt, also deportiert, wurden Mutter und Vater Strauß nach Auschwitz. Seine Mutter war dort den grausamen medizinischen Experimenten des "Todesengels" Josef Mengele ausgesetzt. Sie überlebte Auschwitz - nicht lange: Mit 44 Jahren starb sie an den Folgen.

"Wir haben bald siebzig Jahre rum", sagt Strauß über die Nazi-Zeit. Aber - er zeigt mit ausladender Geste über seine unmittelbare Nachbarschaft auf dem Campingplatz - jeder dieser Sinti habe Verwandte in den NS-Vernichtungslagern verloren. Romano Strauß teilt die Maxime, die sein Vater zu diesem Thema hatte: "Verzeihen - ja, vergessen - nie."

Seine Hoffnung ist die junge Generation: "Nur die kann was ändern." Campingplatzbetreiber Michael Kramer zum Beispiel. Der 38-jährige Restaurantfachmann und Koch hat das Gelände an der Badstraße seit 13 Jahren gepachtet. Und er betreibt hier die "Haxn-Alm", eine Gastwirtschaft im rustikalen Ambiente einer Holzhütte mit niedriger Decke, betont bayerischer Einrichtung, kleinem Biergarten und deftiger Speisekarte.

Krasser Gegensatz: Zuvor hatte Kramer vier Jahre lang bei Feinkost Käfer gearbeitet, dann in der Jugendherberge Lenggries. Der "kleine, überschaubare und familiäre Platz" am Badweiher, 60 Stellplätze, davon 15 von Dauercampern belegt, schien ihm und seinem Kompagnon damals das Richtige. Hier ist Kramer der Mann für alle Fälle. Mitten im Gewusel des gegen Abend gut besuchten Lokals taucht eine Frau auf und fragt "Where is the reception?" Der Mann im weißen Polohemd und der langen schwarzen Kellnerschürze lacht sie an: "That's me." Nachdem er sie eingewiesen hat, geht's wieder ab in die Küche, die an sonnigen Tagen wie diesem 40 Grad aufwärts hat. Schnitzel brutzeln in der Pfanne, Haxn werden hinausgetragen. Der Chef und die Handvoll Mitarbeiter in Küche und Service scheinen ganz in ihrem Element zu sein.

Als Wirt und Campingplatzbetreiber lernt man die Leute kennen. Kramer ist nicht ganz wohl, dass er in Verbindung mit dem Thema "Zigeuner", wie er sagt, in die Zeitung kommen soll. Er hat da schon seine Meinung, aber dann auch wieder nicht. Die Familie Strauß ist bei ihm willkommen, aber er habe schon andere erlebt - es bleibt bei Andeutungen von Vandalismus und unguter Atmosphäre.

Atmosphärisches scheint überhaupt der Kern des Problems zu sein: Einige Dauercamper wittern Unheil, sobald sie eine dicke Goldkette um einen irgendwie nicht so recht urdeutsch aussehenden Hals entdecken. Kramer sagt: "Zigeunergruppen sind überall nicht gern gesehen." Für ihn sei es "eine Gratwanderung", sie aufzunehmen. Ja, sicher, räumt er auf Zwischenfragen ein: Es komme auch mal vor, dass andere Gruppen "den Platz für sich vereinnahmen und völlig rücksichtslos" seien. Kramer ist mit sich selbst im Widerstreit: "Es gibt ja überall solche und solche", sinniert er. Und in den Diskussionen mit Dauercampern, die gefragt hätten, "ob das hier ein Zigeunerplatz wird", da habe er schließlich gesagt: "Jetzt macht euch mal locker - die tun ja nichts." Genau: Die tun nichts. Die wollen nur campen.

© SZ vom 13.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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