Bühne:Empfindsam unterwegs

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Entschleunigung unterm Apfelbaum: Cornelia Bernoulli und Ernst Matthias Friedrich erzählen Bierbaums Autoreise von 1903 mit Auszügen aus seinen Briefen und amüsanten Szenen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Eine szenische Reise im Automobil bildete den Auftakt zum Theatersommer der "Gesellschaft unterm Apfelbaum": Cornelia Bernoulli und Ernst Matthias Friedrich stellen die Italienfahrt des Literaten Otto Julius Bierbaum nach

Von Katharina Schmid

Icking - Wer einmal hier war, kommt immer wieder, stellt Barbara Reimold fest. Vor zehn Jahren hat die Ickingerin die "Gesellschaft unterm Apfelbaum" gegründet. Seither organisiert sie jährlich zusammen mit ihrem Sohn einen Theatersommer in ihrem Garten am Dorfrand. An einem Ort, der stimmungsvoller nicht sein könnte. Bis 5. August werden sich dort Schauspieler, Kabarettisten und Musiker ein Stelldichein mit ihrem Publikum geben. Im April 2018 hat Reimold für ihr Engagement den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung bekommen, der den Kulturbetrieb im Münchener Umland fördern will.

Auf der Wiese mit Blick auf die Alpenkette versammelten sich zum Auftakt des Jubiläumssommers am Donnerstagabend die Gäste. Sie erlebten einen Abend, an dem sich hochklassiges Theater mit der ländlichen Geräuschkulisse im Sommer vermengte. Die Schweizer Schauspielerin Cornelia Bernoulli und ihr Kollege Ernst Matthias Friedrich nahmen die Gäste mit auf eine szenisch-musikalische Spritztour auf den Spuren des Literaten Otto Julius Bierbaums. Ein benachbarter Landwirt lieferte mit seinem Mähdrescher das für den Hochsommer auf dem Land charakteristische Brummen. Dieses wiederum fand sich auf der Bühne wieder, auf der Friedrich den Dichter und Schriftsteller Bierbaum und dessen Adler Cabrio mimte, mit dem er sich 1902 auf eine Reise über die Alpen nach Süditalien begeben hatte.

In 18 literarischen Briefen ließ Bierbaum seine daheimgebliebenen Freunde, unter ihnen viele Künstler, an dieser Reise teilhaben. Bernoulli und Friedrich trugen Episoden daraus vor. Seine "empfindsame Reise im Automobil" führte Bierbaum, seine Gattin und ihren Chauffeur von München über Wien und Rom bis nach Süditalien. Auf der Rückreise gelang dem Ehepaar die erste motorisierte Überquerung des Gotthardpasses in der Schweiz, die mit einer skurrilen Begegnung mit einem Schweizer Polizisten endete. Er belegte die Fahrt Bierbaums vom Kanton Tessin nach Uri mit einer Strafzahlung über zehn Schweizer Franken; die Szene mit dem Schweizer Gesetzeshüter, von Bierbaum beschrieben als der "Turm", wurde großartig dargestellt von Cornelia Bernoulli.

Bernoulli, die Textauswahl und Konzeption für das szenische Theater übernommen hatte, ist ein heiterer Blick auf das Leben eines vergessenen Künstlers gelungen. Ausschnitte aus seinen Briefen, Gedichte und Lieder zeichneten den Charakter eines sensiblen Menschen. Empfindsam Reisen, das sei für ihn, "mit offenen, wachen, allen Erscheinungen des Lebens, der Natur, zugewandten Sinnen zu reisen", schrieb Bierbaum einst. Reisen sei "das Vergnügen, in Bewegung zu sein". Eine Reise mit einem Automobil zur Jahrhundertwende bedeutet aber auch handfeste Schwierigkeiten. Etwa, wenn wie so oft der Adler nicht ansprang, der Platz aufgrund der vielen Hutschachteln und Koffer der Gemahlin zu eng wurde, der Regen von vorne ins Gefährt peitschte oder, wie in Süditalien, die Suche nach Benzin die Tage prägte.

Bierbaums Briefe füllen in der Erstausgabe (1903) von "Eine empfindsame Reise im Automobil" ganze 296 Seiten. Im letzten Brief zieht der Schriftsteller sein Fazit: "Das Reisen im Laufwagen ist das ideale Reisen." Dennoch gäbe es noch viel am Automobil zu verbessern. Besonders am Komfort und an der Ästhetik fehle es. Bierbaum stellt fest: "Die Konstrukteure haben das Pferd noch nicht vergessen." Die Automobile sähen aus wie Zugwagen ohne Zugtiere.

Bierbaum, Namensgeber der Satirezeitschrift "Simplicissimus" und bekannt auch unter seinem Pseudonym Martin Möbius, lieferte Bernoulli und Friedrich amüsanten und eindrücklichen Stoff für eine gelungene szenische Umsetzung. Ein Gartentisch, ein paar Stühle und eine Leinwand reichten den beiden Schauspielern, um Bierbaums Reise humoristisch unters Volk zu bringen. In einem imaginären Cabrio des Jahres 2030 vollzogen sie Bierbaums Reise- und Lebensweg nach. Dem Publikum in Reimolds Garten boten sie auf diese Weise einen unterhaltsamen Sommerabend, überschrieben mit dem Spruch: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht." Ein Satz, der vielen nur allzu geläufig ist. Nur wenige kennen allerdings dessen Schöpfer: Otto Julius Bierbaum.

Die Vorstellungen des Theatersommers 2018 finden noch bis einschließlich Sonntag, 5. August, statt; gesellschaft-unterm-apfelbaum.org

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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