Betriebsbesichtigung:Das kleine Äquivalent zum G-7-Gipfel

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Adrette Besucher in Kochel: Eine US-Delegation informierte sich bei Dorst, überbrachte Obamas Grüße und hinterließ Eindruck und Visitenkarten. (Foto: Neubauer)

Eine amerikanische Delegation informiert sich in Kochel über das duale Ausbildungssystem

Von Claudia Koestler, Wolfratshausen

Rien ne va plus, sagt der Franzose, nichts geht mehr an diesem Morgen in Kochel am See: "Vollsperrung", nennt es die Polizei, die die Ortsdurchfahrt mit Fahrzeugen und einem Großaufgebot an Beamten seit 8.30 Uhr abriegelt. Denn: Amerikanische Gäste des G-7-Gipfels, genauer gesagt ein Konvoi mit einer Delegation aus der Entourage von Barack Obama, sei auf dem Weg. Der Pressevertreter weiß, wohin: Um 9 Uhr hat die Industrie- und Handelskammer einen Pressetermin angesetzt in der Kochler Firma Dorst Technologies. Der US-Generalkonsul in München, Bill Moeller, sowie die vier US-Abgeordneten Mike Quigley (Illinois), James Himes (Connecticut), Eddie Bernice Johnson (Texas) und Gerry Connolly (Virginia) sollen sich den mittelständischen Betrieb anschauen. Weil er ein Beispiel ist für das deutsche System der dualen Ausbildung. Und sie sollen sich über die Position der bayerischen Wirtschaft zu TTIP informieren.

Was aber wäre ein Auftritt ohne Publikum? Wenn Otto Normalverbraucher jedoch außen vor bleiben muss, dann übernimmt den Part die Presse. Meistens jedenfalls. Die Einladung der IHK hatte zwar alle erreicht, doch die Vollsperrung, die den Besuch der amerikanischen Gästen begleitete, ließ nicht einmal mehr die Presse durch zu Dorst. Und auch die IHK wurde Opfer ihrer Einladung: Selbst Eberhard Sasse, Präsident der IHK für München und Oberbayern, hing am Ortsrand von Kochel fest.

Der Schutzwall an Beamten ließ nicht einmal mehr eine Straßenüberquerung zu. Eine Anwohnerin wollte zwar nach Hause, auf die Toilette. "Das geht nicht", baten die Beamten um Verständnis, vielleicht könne die örtliche Sparkasse aushelfen - sie lag immerhin auf der gleichen Straßenseite. Eine andere missachtete die Beamten und schob ihr Rad über die Straße, bis sie von einem Polizisten verbal von der Fahrbahn gefegt wurde. Während man also stand und wartete, breiteten sich jedoch rudimentäre Ausläufer zivilen Ungehorsams aus: Ein Fotograf spielte am Schalter der Fußgängerampel herum, ein ostdeutscher Kollege spöttelte: "Da zeigt sich, welche Gipfel der real existierenden Staatssicherheit in Deutschland inzwischen erreichbar sind".

Eineinhalb Stunden später: Der Konvoi mit Polizei und schwarzen Limousinen ist durchgerauscht, die Sperre aufgehoben. Adrette Herren in dunklen Anzügen schreiten durch eine Fabrikhalle, von den amerikanischen Sicherheitsbeamten nur zu unterscheiden, weil sie kein Funksystem im Ohr tragen. Der Ton freundlich, die Aussagen vage, aus Zeitgründen muss der Austausch über TTIP gestrichen werden. Was bleibt ist eine Mappe mit Firmenpräsentation und jede Menge Visitenkarten. So schnell sie kamen, waren sie auch wieder weg, man müsse heute noch zu BMW und General Electric.

Doch das ficht niemand an, den Pressevertretern erzählen die Dorst-Vertreter hinterher, was sie verpasst haben. Dass Obama das duale Ausbildungssystem transferieren wolle, und dass sich der Generalbevollmächtigte Hubert Löcherer dachte, er lade den Präsidenten der USA ein, wenn er denn schon mal in der Gegend sei, hier "behind the hills", wie er scherzte. "Uns war klar, es würde schwierig werden", gibt er zu.

Angesichts der Visitenkarten aber hoffe er, dass sich ein Netzwerk entwickeln werde. Immerhin habe ihn ein "Assistant to the President" angesprochen: "Er hat uns im Namen Obamas Grüße bestellt", freute sich Löcherer. Für ihn war das alle Mühe wert: "Unser kleines Äquivalent zum G-7-Gipfel".

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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