Bei Benediktbeuern:Freiwillige suchen nach vermisstem Kanadier an der Benediktenwand

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Die Strecke, auf der nach Jeff Freiheit gesucht wird, ist etwa 20 Kilometer lang. (Foto: Peter Huck)
  • Seit mehr als drei Wochen wird der 32-jährige Kanadier Jeff Freiheit an der Benediktenwand vermisst.
  • Polizei und Bergwacht haben ihren Einsatz derzeit unterbrochen, allerdings suchen noch immer Freiwillige nach ihm.
  • Der erfahrene Wanderer war auf dem Traumfängerweg von München nach Venedig unterwegs.

Von Benjamin Engel

Wie in einem Glutofen hat sich Peter Huck im Kessel unterhalb der Achselköpfe nahe der Benediktenwand am Dienstag gefühlt. Die ganze Hitze der hochstehenden Augustsonne speichern die Steine in den Schotterkaren besonders intensiv. Im unwegsamen Gelände am Übergang von Geröll zu den Latschen war der Sauerlacher Huck unterwegs. Acht Stunden lang hat er das Gebiet zwischen dem Jachenauer Wandererparkplatz Petern und den Achselköpfen intensiv durchkämmt. Eine Spur von dem seit 23 Tagen am Brauneck vermissten Wanderer Jeff Freiheit fand er nicht.

Die Mitglieder von Bergwacht und Polizei haben die offizielle Suche nach dem verschollenen 32-jährigen Kanadier inzwischen unterbrochen. Doch der 51-jährige Elektrotechniker Huck und weitere Freiwillige machen privat weiter. In ihrer Freizeit durchkämmen sie das Gebiet auf eigene Faust. Über die Facebook-Gruppe "Volunteers searching for Jeff Freiheit" tauschen sie sich aus. Diese Seite mit inzwischen mehr als 400 Mitgliedern hat die Familie des Vermissten aufgebaut.

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Doch warum fängt jemand einfach so an, nach einem ihm völlig Unbekannten zu suchen? Bei großen weltpolitischen Themen fühlt sich Huck machtlos, wie er schildert. "Hier ist ein Notfall direkt vor meiner Haustür und in einem Gebiet, in dem ich mich auskenne", sagt er. Im Gebiet um die Benediktenwand sei er schon oft gewandert. In diesem Fall könne er aktiv helfen. "Ich denke mir, wie schlimm es für die Familie ist und wie leicht für mich", schildert er. In den Bergen sei er in seiner Freizeit ohnehin unterwegs.

Auf der Timeline seiner Facebookseite hatte Huck vor zwei Wochen die Vermisstenanzeige von Jeff Freiheit gesehen. Seitdem war er an fünf Tagen im Gebiet zwischen Brauneck und dem Karwendel bei Vorderriß unterwegs. Rund 150 Kilometer ist er gewandert. Er hat Flyer mit der Vermisstenanzeige an Bushäuschen gepinnt, mit vielen Almwirten gesprochen. Doch alles blieb ergebnislos. Wie ein Wanderer in einer so beliebten Tourismusregion so lange verschwunden bleiben kann, ist für ihn ein "Mysterium". "Die Benediktenwand ist ein echter Hot Spot", wundert sich Huck.

Fest steht bisher, dass der verschollene Wanderer auf dem "Traumpfad" - einem der immer beliebteren Fernwanderwege - von München bis nach Venedig kommen wollte. Der Kanadier war alpinerfahren. Der junge Mann soll schon den knapp 5900 Meter hohen Kilimandscharo im afrikanischen Tansania bestiegen haben. Zu Fuß soll er die auf einem abgelegenen Felsplateau liegende südamerikanische Inka-stadt Machu Picchu erklommen haben.

Bereits am 2. August war Freiheit von Lenggries auf das Brauneck gestiegen. Vor dem Panoramarestaurant bei der Bergbahn-Gipfelstation hat er ein Selfie gemacht. Das Foto sendete er an seine Ehefrau. Dann verliert sich seine Spur.

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In der Tutzinger Hütte bei der Benediktenwand wollte er übernachten. In Vorderriß hatte der Kanadier ein Hotelzimmer reserviert. Angekommen ist er an keinem der beiden Übernachtungsstationen.

Die Suche nach Jeff Freiheit umfasst daher die rund 20 Kilometer lange Traumpfadroute zwischen dem Brauneck und dem österreichischen Vorderriß. Allein die reine Kilometerzahl verdeutlicht die Herausforderung. Zudem ist das Gebiet von tiefen Schluchten zerklüftet. Latschengestrüpp und Wald erschweren es, jemanden zu finden.

Weit mehr als 100 Einsatzkräfte von Polizei und Bergwacht waren im Einsatz. Hubschrauber stiegen auf. Drohnenkameras filmten das Gebiet aus der Luft. Die Hundestaffel Oberland war beteiligt. Bis auf diffuse Hinweise, dass Freiheit an der Tutzinger Hütte oder in der Jachenau gesehen worden sein soll, haben sämtliche Aktionen bisher nichts ergeben. Ohne Hinweise auf den Verbleib des Kanadiers sind die Suchaktionen derzeit unterbrochen.

Sollte sich keine neue Spur ergeben, wird in etwa einer Woche die Weilheimer Kriminalpolizei die Ermittlungen übernehmen. Wie der Dienststellenleiter der Tölzer Polizei, Bernhard Gigl, schildert, sei dies der übliche Behördengang einen Monat nach dem Verschwinden einer Person. Alle technischen Hilfsmittel seien derzeit ausgeschöpft. Das weitläufige Gebiet mache es praktisch unmöglich, jeden einzelnen Winkel zu durchforsten.

Nach Vermissten zu suchen, ist für die Tölzer Polizei kein Einzelfall. Vor vier Jahren stürzte eine 58-jährige Wanderin aus Erding bei den Achselköpfen nahe der Benediktenwand 80 Meter zu Tode. Die Einsatzkräfte fanden ihren Leichnam erst etwa eine Woche später. Die felsigen Achselköpfe zählen aus Sicht von Gigl zu den gefährlichsten Stellen im Suchgebiet. Dort sind Schwindelfreiheit und Trittsicherheit gefragt.

Mit der Ungewissheit leben müssen vorerst die Angehörigen des verschollenen Kanadiers. Die Ehefrau und die Mutter sind inzwischen aus Übersee in die Region gereist. Beide wurden vom Kriseninterventionsteam betreut. Über die Facebook-Gruppe "Volunteers searching for Jeff Freiheit" haben sie ein breites, privates Unterstützernetzwerk aufgebaut. Die freiwilligen Helfer posten, wo sie nach dem Vermissten gesucht haben und erstellen Karten mit ihren abgewanderten Routen.

Im Auftrag der Familie hat das auf Luftaufnahmen spezialisierte Wolfratshauser Unternehmen Air Bavarian GbR Hubschrauber- und Drohnenflüge organisiert. Noch am Dienstag und Mittwoch haben die Inhaber in der Jachenau zwei Schluchten näher untersucht - allerdings ergebnislos. Wie Marinus Vogl von Air Bavarian schildert, seien sie dafür samt Auto mit verstärkten Antennen unterwegs gewesen.

Während der Suche ist der Drohnenpilot außerhalb des Fahrzeugs und steuert das Fluggerät. Mit Hilfe eines Livebildmonitors kann er den Flug der Drohne genau verfolgen. Zusätzlich zeigt ihm eine Google-Maps-Karte die Route an, die schon abgeflogen wurde. Laut Vogl steht der Pilot im ständigen Kontakt mit dem Team im abgedunkelten Auto. Wer dort sitzt, kann den Drohnenflug über einen 30-Zoll-Monitor beobachten. Falle am Boden etwas auf, könne die Drohne an einer festen Position in der Luft verharren. Die Kamera könne dann das Bild bis zum 30-Fachen vergrößern, sagt Vogl. Er geht davon aus, dass er keine weiteren Drohnenflüge mehr machen wird. Das sei eine Kostenfrage und außerdem werde das Wetter schlecht.

Szenenwechsel zum Schützenhaus in der Jachenau. Der Sauerlacher Peter Huck trifft am Dienstagabend auf drei weitere freiwillige Helfer. Huck erzählt wie er sich lange mit dem Wirt der Bichler Alm an der Benediktenwand unterhalten habe. Dem Mann habe er ein Bild des schlanken, 1,85 Meter großen vermissten Kanadiers gezeigt. Doch der Wirt habe sich nicht erinnern können, dass jemand vorbeigekommen sei, auf den die Beschreibung passe.

Fehlanzeige auch bei den Mitstreitern von Huck. Einer der Helfer, der namentlich nicht genannt werden will, stammt aus dem Kleinwalsertal. Wie er erzählt, habe sein Großvater die dortige Bergwacht mitgegründet. Auch deswegen habe er sich verpflichtet gefühlt, bei der Suche nach dem Kanadier mitzuhelfen. Zudem kenne er das Risstal im Karwendel durch eigene Unternehmungen gut, berichtet er. Für ihn und die anderen gleicht die Suche nach dem Verschollenen einem kriminalistischen Puzzlestück. "Vielleicht hat Jeff versucht, irgendwo abzukürzen", sagt er.

Die Hoffnung endgültig aufgeben, dass der junge Mann noch leben könnte, wollen alle Helfer noch nicht. Womöglich liege er an einer Gumpe oder einem Bach und habe so ausreichend Wasser, meinen sie. Doch ihnen ist bewusst, dass diese Hoffnung mit jedem weiteren Tag, der ergebnislos verstreicht, kleiner wird.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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