Bakterien im Fleisch:Großmetzgerei Sieber kämpft ums Überleben

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  • Wegen des Produktionsverbots verzeichnet der Betrieb derzeit einen Millionenverlust.
  • 120 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, viele Kunden sind nach dem Listerien-Fund in einem Fleischstück verunsichert.
  • Ob Sieber Insolvenz anmelden muss, wird sich in den kommenden Wochen entscheiden.

Von David Costanzo, Geretsried

Dietmar Schach hat seit Tagen praktisch nicht geschlafen - und das sieht man ihm an. Er blickt immer wieder hinab, die Miene regungslos, er spricht langsam, macht immer wieder lange Pausen. Der Chef der Großmetzgerei Sieber sitzt vor den Kameras und Mikrofonen und hat die Ärmel aufgekrempelt, als ob es etwas anzupacken gäbe. Aber es gibt nichts anzupacken. "Wenn Sie mich fragen, wie es mit Sieber-Wurst weiter geht, Stand heute, elf Uhr ..." Pause. "Ich weiß es nicht."

Seit Freitagnachmittag steht alles still, kein Fleisch darf rein in die schmucklose Halle in der Geretsrieder Böhmerwaldstraße, keine Wurst raus. Die Metzger sind freigestellt. 100 000 Euro kostet das den Betrieb jeden Tag. Bis zu 300 Tonnen Waren mussten wegen des Rückrufs raus aus den Kühlregalen in den Geschäften, die haben einen Wert von rund vier Millionen Euro, sagt ein Sprecher. Und die bis zu 300 Tonnen rohes Fleisch im Lager samt Zwischenprodukten kosten noch einmal einen siebenstelligen Betrag.

Wie lange das Unternehmen das aushält, wissen sie dort nicht. Sie wissen ja noch nicht einmal, wohin mit dem Fleisch - und was dann im Betrieb zu tun ist. Reinigung? Umbau? Schließlich habe man im Werk nicht eine positive Probe auf Listerien gefunden, darauf beharrt Schach. Listerien-Verdacht? Erkrankungswelle mit 80 Infizierten und acht Toten?

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Der Firmen-Chef spricht von einem politisch motivierten Rückruf seiner Waren. Mehrere Menschen könnten wegen der verunreinigten Wurstwaren gestorben sein.

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Schach weist alle Zusammenhänge von sich. Wie die Bakterien auf einige seiner Produkte kommen, kann er sich nicht erklären. Doch genau danach wird ihn bald der Staatsanwalt fragen, das ist seit Mittwochmittag absehbar. Die Ermittler leiten ein Verfahren ein, wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz. Bei Sieber stellen sie sich auf einen wochenlangen Stillstand ein, vielleicht einen monatelangen.

Die Zeit läuft. "Wir prüfen alle möglichen Optionen", sagt Schach. Szenarien werden durchgespielt, Überlebenschancen berechnet. Die Bank muss mitspielen, die Handelspartner auch. Schach will Berater einschalten. Es sei fraglich, sagt der Sprecher, ob sie den Mitarbeitern das nächste Gehalt überweisen können. Ob das Unternehmen Insolvenz anmeldet, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.

Es wäre nicht die erste. Schon im Jahr 2001 stand Sieber am Abgrund, als nach BSE und Maul- und Klauenseuche den Menschen der Appetit auf Fleisch vergangen war und die Umsätze einbrachen. Damals führte noch Kurt Sieber das Unternehmen, ein Nachfahre von Ur-Metzger Andreas Sieber, der den Betrieb 1825 begründete. Kurt Sieber war unter Karl-Heinz Wildmoser Vizepräsident des TSV 1860 München und mit seiner kleinen Wurstbraterei sogar ein veritabler Wiesn-Wirt. 1996 hatte er das Traditionsunternehmen aus dem Münchner Schlachthofviertel nach Geretsried geholt.

Seine rechte Hand im Betrieb war damals schon Dietmar Schach. Mitte dreißig war er und schon kaufmännischer Leiter der Großmetzgerei. Er übernahm den am Boden liegenden Laden im Jahr 2001 als Inhaber und Geschäftsführer - als Manager also, nicht als Metzger. Heute ist er 51 Jahre alt, Sieber ist sein Lebenswerk. Es tut ihm besonders um seine Leute leid. Er lebe mit den Mitarbeitern, sei mit dem Betrieb verwurzelt. 120 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.

Bei den Kunden hat er sich entschuldigt. Er meint damit nicht, dass er schuldig ist. Am Krisentelefon hat sich die Verunsicherung deutlich gezeigt. 1000 Menschen haben am Montag angerufen, 700 am Dienstag - da sind dann die Beschimpfungen und Beleidigungen dazugekommen.

Viele der Kunden dagegen, die am Mittwoch zum Werksverkauf kommen, um die Sieber-Wurstwaren zurückzugeben, schimpfen nicht über den Betrieb, sie geben sich freundlich. Schach hat das nicht mitbekommen, er war nicht dort.

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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