Um 10 Uhr ist am Wolfratshauser S-Bahnhof alles so wie immer. Junge und alte Menschen warten auf Bus und Bahn, sitzen auf den Bänken und gucken in die Luft oder aufs Handy. Ob sie wohl wissen, dass die Fahrt in sämtlichen Bussen des Landkreises am 21. September für sie kostenfrei ist? Plakate oder Anzeigen, die auf den "ÖPNV-Schnuppertag" hinweisen würden, findet man hier jedenfalls nicht. Fragt man einen Busfahrer, der gerade Pause macht, zuckt dieser nur die Schulter und berichtet, dass manche zwar von dem Angebot wüssten, aber nicht verstünden, wo es überall gelte.
Ähnlich ahnungslos ist der Fahrer des Expressbusses Richtung Bad Tölz (Xpress 970), der selbst nicht weiß, dass er seine Passagiere gerade kostenlos transportiert. Dies beruht etwas auf "Gegenseitigkeit": Der 64-jährige Teilzeitrentner Robert Lippert, der in Wolfratshausen in den Express-Bus eingestiegen ist, hatte nichts vom Schnuppertag mitbekommen. Das A2-Plakat, das hinter der Busfahrerkabine hängt und darauf hinweist, hat er nicht gesehen. Er fährt fast jeden Tag mit dem Bus, "einfach, weil es schön ist" und weil die X-Busse überhaupt "klasse" seien. Je nach dem, was gerade günstiger sei, wechsele er zwischen dem Deutschland-Ticket und der IsarCard 60, erzählt er.
Im Bus sitzen gerade mal drei Passagiere. Von Wolfratshausen nach Bad Tölz sind außer Lippert nur noch Roswitha und Peter Spranger dabei. Sie wissen ganz genau, dass heute Schnuppertag ist, fast ein bisschen stolz zieht Peter Spranger einen Flyer aus der Tasche. "Zum Beweis! Damit auch niemand sagen kann, dass wir heute schwarzfahren", sagt er und lacht.
"Das ist doch ein Geschenk an die Menschen"
Zwar sind sie auch sonst viel mit ihren Senioren- beziehungsweise Tagestickets im öffentlichen Nahverkehr unterwegs - gerade die Express-Busse, die "zuverlässig" im Zwanzig-Minuten-Takt die Städte verbinden, nutzen sie gerne. Die Fahrt an diesem Tag hätten sie ohne das Schnupperangebot aber nicht unbedingt unternommen. Sie verstehen nicht, warum der Bus trotz des Angebots so leer ist: "Das ist doch ein Geschenk an die Menschen", sagt Roswitha Spranger. Viele wüssten wohl nicht, dass die Fahrten an diesem Tag gratis seien. Jedenfalls habe sie schon viele gesehen, die eigentlich stempeln wollten. Vielleicht seien die Menschen aber auch einfach zu faul, um sich über die Fahrpläne zu informieren, und stiegen daher lieber ins Auto, überlegt Peter Spranger. Mit dem mittlerweile enger getakteten Busangebot würden natürlich auch die Fahrpläne komplizierter.
An der Haltestelle Waldram steigen plötzlich zehn Fahrgäste zu, mit einem Zwinkern sagt Roswitha Spranger: "Da muss ich meine Aussage, dass keiner mit dem Bus fährt, wohl revidieren!" Der Halt ist nur kurz, zügig fährt der Bus weiter. Überhaupt ist er flott unterwegs, die Maisfelder und das Alpenpanorama fliegen geradezu vorbei. Einer der neu Zugestiegenen, Raman Shust, spricht kein Deutsch und ist überrascht, dass die Fahrt ihn heute nichts kostet. Für ihn ändert es auch nichts - mit seinem Deutschland-Ticket ist er sowieso mobil, er nutzt den Bus regelmäßig.
Für viele macht das Angebot an diesem Tag keinen Unterschied
Nachdem er ausgestiegen ist - der Bus ist in Geretsried bereits merklich leerer geworden - lassen sich Birgit und Guido Becker nieder. Wie die Sprangers nutzen die pensionierten Eheleute die Busse regelmäßig. So regelmäßig, dass sie dafür sogar ihr zweites Auto abgeschafft haben. Sie wussten vom Schnuppertag, Guido Becker hatte ein paar Wochen zuvor ein Plakat im Bus gesehen, es fotografiert und sogar auf WhatsApp mit seinen Kontakten geteilt. Schließlich hält er den Probetag für eine "gute Idee". Die Beckers selbst haben ein Deutschland-Ticket, dem sie auch treu bleiben würden, selbst wenn es teurer werden sollte.
Nach gerade einmal etwas weniger als vierzig Minuten ist der S-Bahnhof in Bad Tölz erreicht, der Expressbus macht seinem Namen alle Ehre. Auf dem Weg zurück Richtung Geretsried, wieder im X970, diesmal mit Endhaltestelle Starnberg, sitzt die 47-jährige Barbara Frühholz auf einem der blauen, mit grünen Autos und Bussen gemusterten Sitze. Bevor sie in Wolfratshausen in die S-Bahn nach München umsteigt, in der das Schnupperangebot nicht mehr gilt, fährt sie kostenlos. Erfahren hat sie davon aus der Zeitung. Ansonsten wäre sie einfach schon ab Bad Tölz mit der Bahn gefahren, sagt sie, so könne sie aber "mal eine andere Strecke fahren". Eigentlich nutzt sie den Bus selten, die nächste Haltestelle von ihrem Zuhause liegt etwa anderthalb Kilometer entfernt. Deshalb sei es für sie nicht möglich, nur mit dem ÖPNV herumzukommen - auch wenn die X-Busse "super" seien.
Vielleicht geht es auch anderen so, jedenfalls ist der Bus von Bad Tölz um kurz vor elf ziemlich leer. Beim Aussteigen in Geretsried an der Haltestelle Am Stern weist die digitale Anzeige darauf hin, dass es bei der Linie X970 an diesem Tag zu Ausfällen kommen kann. Zu spüren ist davon allerdings bislang nichts.
Im angenehm klimatisierten 310er Richtung Erikastraße sitzen plötzlich ein paar mehr Menschen. An der Karl-Lederer-Schule steigen zwei Frauen um die dreißig ein und sind überrascht, als der Busfahrer beim Bezahlen ihr Geld nicht nehmen will. Auch sie wussten anscheinend nichts vom Schnuppertag. Ähnlich geht es einer jungen Mutter mit ihren Kindern, die am Chamalières-Platz zusteigt. Noch bevor sie es zum Busfahrer schafft, wird sie von den zuvor eingestiegenen Frauen auf das Schnuppertag-Plakat aufmerksam gemacht, das auch in diesem Bus hängt - sie wirkt ebenfalls erstaunt und davon auch etwas verwirrt. Auf dem Weg in die Wohngebiete rund um das Blumenviertel wird es im Stadtbus merklich voller, zu der Mutter mit Kinderwagen haben sich noch ein Rollstuhlfahrer und ein älterer Herr mit Rollator gesellt, für alle ist Platz.
Die Stadtbusse scheinen gut genutzt zu werden, auffällig ist auch das flächendeckend positive Feedback zu den X-Bussen. Die meisten sind an diesem Tag wohl Bus gefahren, weil sie ihn sowieso nutzen, für ein paar hat der Schnuppertag jedoch den Ausschlag gegeben, die Verbindungen mal zu testen. Dass insgesamt trotzdem vergleichsweise wenige vom Angebot gehört hatten und auch einige der Fahrer nicht Bescheid wussten, überrascht. Vielleicht auch nicht, schließlich hingen die Plakate ja vor allem in den Bussen, wo sie nur die Leute sehen, die den ÖPNV schon nutzen.