SZ-Adventskalender:Flucht aus Angst und Gefahr

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Eine unendliche Geschichte der Angst: Samir B. will Afghanistan hinter sich lassen und mit seiner Familie neu beginnen.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Es mutet fast wie eine unendliche Geschichte an, die Samir B. (Name geändert) mit seiner Familie seit vielen Jahren durchlebt. Eine unendliche Geschichte der Angst. Denn ursprünglich stammt die Familie aus Afghanistan, aus einem Ort nahe der iranischen Grenze. "In Afghanistan wird es nie Frieden geben", sagt Samir B. Niemals hat er dort das Gefühl der Sicherheit kennengelernt: Mit seiner Heimat verbindet er hauptsächlich Krieg und Gewalt. Seine Generation kennt das Land nicht anders. Wie auch die Generation davor. Besonders zermürbte ihn aber, dass er permanent Angst um das Leben seiner Frau und seiner beiden Kinder haben musste. " Frauen durften sich nicht frei bewegen, für die Kinder war das Spielen draußen stets von Gefahr begleitet", sagt er.

Deshalb sah der junge Schneider, der ein eigenes Stoffgeschäft besaß, keine Zukunft mehr für sich und seine Familie. Sie beschlossen, zu gehen, einer Zukunft entgegen, die er, seine Frau und vor allem seine Kinder in Afghanistan nicht gehabt hätten. Das Ziel: Die Niederlande, wo die Familie Verwandte hat. Monatelang waren sie unterwegs, mit Schleusern und Schleppern, die Angst stets im Nacken, bis sie endlich in den Niederlanden ankamen. Doch Ruhe sollte auch dort nicht einkehren. Zu viert in einem kleinen Zimmer der Verwandten untergebracht, drohte der Familie die Abschiebung. Damit hing die Familie in der Luft: "Ich konnte nichts arbeiten, nicht wirklich ankommen, nichts aufbauen, man wartet nur und hat Angst vor dem, was kommt", erzählt er. Diese Ungewissheit zog sich über vier Jahre. "Wenn man zur Untätigkeit gezwungen ist, dann blickt man jeden Tag auf die Vergangenheit. Das zehrt an den Kräften", sagt Samir B. "Darüber ist meine Frau depressiv geworden", eine posttraumatische Belastungsstörung.

Dann kam der Brief, vor dem sich alle so sehr fürchteten: Das Dokument mit dem konkreten Datum der Abschiebung. Doch eine Rückkehr nach Afghanistan kam für den Familienvater nicht in Frage: Er flüchtete mit seiner Familie nach Deutschland und landete in Bayern. Inzwischen läuft der Antrag auf Asyl. "Wir sind einfach nur froh", sagt Samir B. Große Träume oder Wünsche? "Leben zu können, in Ruhe und in Sicherheit", sagt er und fügt an: "und dass die Kinder eine Chance haben".

Mittlerweile hat sich seine Frau etwas erholt und ist mit dem dritten Kind schwanger. "Ein bisschen Babykleidung und Ausstattung", das würde der Familie allerdings den Alltag erleichtern.

Einen Wunsch gibt es doch: Eine Nähmaschine. Denn dann könnten sie sich Kleidung nähen. Ein Stück Alltag von früher, und Beschäftigung, bis Samir B. hier die Zukunft anpacken und arbeiten darf. "Denn ich will etwas tun und ich will etwas zurückgeben dafür, dass wir hier sein dürfen", betont er.

© SZ vom 09.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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