Bad Tölz:Tradition sucht Nachfolge

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Rita Braun gibt ihr Trachtenmodengeschäft auf und sucht einen Nachfolger - per Fernseh-Casting.

Klaus Schieder

Das Trachtengeschäft Kirner in Bad Tölz ist andersartig. In dem Haus am Amortplatz begibt sich der Kunde in ein Labyrinth aus Kleiderständern und bis unter die Decke reichenden Regalen, als befände er sich auf einer Zeitreise, die ihn ein paar Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit führt. Auf zwei Etagen findet er dort so gut wie alles, was zur Trachtenmode gehört, er stöbert in einem Laden, der in seinem Flair wie ein Gegenentwurf zu den durchgestylten Filialen bekannter Modefirmen erscheint.

Rita Braun sucht einen Nachfolger für ihr Geschäft "Trachten Kirner". (Foto: Manfred Neubauer)

Ob dies so bleiben wird, ist allerdings ungewiss. Nach 64 Jahren gibt die 82-jährige Inhaberin Rita Braun ihr ungewöhnliches Traditionsgeschäft auf und wirbt auf ebenso ungewöhnliche Weise um einen Nachfolger. Der wird in der TV-Sendung "Nachfolger gesucht" des Bayerischen Rundfunks an diesem Freitag, 1. Juni, von 19.45 Uhr an ermittelt. Zwei Bewerber treten an - beide hätten die Fähigkeiten, das Haus weiterzuführen, sagt Braun.

Diese Art der Geschäftsübergabe hat sich die 82-Jährige nicht ausgesucht. Redakteure des BR traten von sich aus an die Tölzerin heran, die schon vor 15 Jahren mit dem Moderator und Schauspieler Thomas Ohrner zu tun hatte. Er verbarg sich damals hinter den Kleiderständern, als die Schauspielerin Saskia Valencia für die Sendereihe "Versteckte Kamera" in das Trachtengeschäft gelockt und hinters Licht geführt wurde.

Anfangs kaum Interessenten

Ehe sich der Rundfunksender meldete, hatte Braun kaum Kontakt zu Interessenten gehabt. "Ich habe mich auch nicht bemüht", sagt sie. "Denn gar so pressiert hat es ja nicht." Einmal sei ein Geschäftsmann auf sie zugekommen, bei dem alles "wunderbar geklungen", alles "wunderbar gepasst" habe, erzählt sie. Am Ende stellte sich heraus, dass der Kandidat zahlungsunfähig war. Ihren zwei verheirateten Töchtern kann sie den Laden auch nicht vermachen, da sich beide beruflich anders orientiert haben. Die 82-Jährige grämt sich deshalb nicht: "Sie gehen einen guten Weg, ich bin glücklich und zufrieden." Aber nun freue sie sich, "wenn ein richtig guter Nachfolger kommt".

35 Stunden standen zwölf Mitarbeiter des BR an dreieinhalb Tagen in ihrem Geschäft, fotografierten, stellten ihre Kameras auf, drehten. Das sei schon ein Riesenaufwand, "da muss man sich wundern", sagt Braun. Als Kandidaten, die das Traditionshaus übernehmen möchten, wurden ein 46 Jahre alter Inhaber mehrerer Trachtengeschäfte und ein 23 Jahre alter Schneidermeister vom Sender auserkoren. Sie mussten vor laufenden Kameras ein Ehepaar aus Mainburg beraten, das schon seit langem zu den Kirner-Stammkunden zählt.

Dass beide zufällig in den Laden hereinschneiten, "kam uns gelegen", sagt Braun. Nicht zuletzt deshalb, weil sie wegen ihrer Körpergröße nicht eben einfach zu bedienen sind. Der eher untersetzte Mann habe zum Beispiel eine "nach außen gewölbte Taille", wie es Braun höflich formuliert. Unter den 34 Herrengrößen, die das Trachtenhaus führt, habe der 46-jährige Bewerber für ihn "sofort das Richtige angeboten".

"Die Liebe zu den Menschen ist wichtig"

Der 23-Jährige, der seine Nähmaschine dabei hatte, machte für die Frau an Ort und Stelle eine Änderung - "und ich musste beurteilen, ob das gut und exakt ist", erzählt Braun. Beide Bewerber hinterließen bei ihr einen guten Eindruck, was die Argumentation, die Liebenswürdigkeit und das Einfühlungsvermögen gegenüber den Kunden anbelangt.

Der mögliche Nachfolger braucht nach dem Dafürhalten der Inhaberin aber noch mehr als diese Eigenschaften. Aufgeschlossenheit, Unternehmungsgeist, Freude an der Arbeit, Flexibilität, Ideenreichtum und ein gewisses finanzielles Polster seien für die Führung eines solchen Geschäfts vonnöten. "Die Liebe zu der Materie, zu den Menschen, das ist eine ganz wichtige Sache." Und man dürfe nicht denken, dass es mit einer 40-Stunden Woche abgetan sei.

Als sie den Trachtenladen gründete, war Braun erst 18 Jahre alt. Das war 1948, der Krieg gerade vorüber. "In der heutigen Zeit kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, dass man in so jungen Jahren diese Verantwortung übernimmt", sagt Braun. Aber sie gehöre zur Kriegsgeneration, die eine gewisse Härte, Verzicht und Flexibilität habe lernen müssen. Auch nach der Aufbauphase hatte es die Inhaberin nicht immer leicht. Nach ihrer Scheidung 1958 blieb sie mit einer Menge Schulden zurück, "ich war unglücklich mit mir selber", berichtet sie.

Prominente Kundschaft

Doch sie habe sich gesagt, dass sie nicht warten dürfe, "dass jemand zu mir kommt, ich muss den Leuten entgegenlaufen". So meldete sie sich im gleichen Jahr kurzfristig für die "Grüne Woche" in Berlin an und investierte 3500 Mark, um dort mit einem Stand teilzunehmen. Später folgten Messeauftritte in Hamburg, Hannover, München und anderen Städten. So erwarb sich Braun einen umfangreichen Kreis an Stammkunden aus ganz Deutschland, auch Prominente wie die TV-Moderatorin Petra Schürmann oder der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber kauften in ihrem Geschäft ein. "Dadurch habe ich viele Leute nach Bad Tölz gezogen."

Ihrem Nachfolger hinterlässt sie mithin ein gut bestelltes Feld. "Wer das bekommt, der bekommt auf jeden Fall ein schönes Unternehmen", sagt Braun. Der Umsatz stimme, der Stammkundenkreis auch. Ob sie selbst so leicht loslassen kann nach all den Jahren? Sie habe eigentlich immer "ein philosophisches Denken" gehabt, erwidert die 82-Jährige. Und im Großen betrachtet, sei die Geschäftsübergabe ja nicht mehr als "ein Sandkorn im Getriebe".

Sie freue sich zwar, wenn der künftige Inhaber hin und wieder ihren Rat einhole, werde sich ihm aber nicht aufdrängen. "Auf der Bühne des Lebens habe ich 64 Jahre lang etwas Schönes haben dürfen", resümiert Rita Braun.

© SZ vom 1.6.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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