Aus der Reihe Grünes Kino:Helden mit Heu-Puppen

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In der Doku "Wunder von Mals" kämpft ein Dorf gegen Pestizide

Von Julian Erbersdobler, Wolfratshausen

Es dauert nicht lange, bis die mehr als 50 Besucher in der Wolfratshauser Flößerei wissen, wer hier auf der Leinwand gegen wen antritt: David gegen Goliath. Auf der einen Seite gibt es im Dokumentarfilm "Das Wunder von Mals" die Guten. Das sind die Bürger des Südtiroler Dorfs, der Apotheker, die Kräuterbauern, die Tagesmutter, die Friseurin, die Kindergärtnerin, der Tierarzt, der Bürgermeister und auch der Filmemacher selbst, Alexander Schiebel. Auch er hat zwei Jahre lang in Mals gelebt und mitgekämpft, dass die Pestizide verbannt werden.

Die andere Seite, der Bauernbund, die Landesregierung und die Chemieindustrie, kommt im Film nicht zu Wort. Ist das fair? "Ich kann deren Argumente ehrlich gesagt nicht mehr hören", sagt Schiebel nach der Vorstellung. "Wir wollen nicht vergiftet werden, ich finde das ist ein nachvollziehbarer Grund." Dass sich auch die Wolfratshauser mit dem Thema beschäftigen, zeigt, wie viele Menschen der Einladung von Stadtrat Rudi Seibt zum "Grünen Kino" gefolgt sind. Die moderne Landwirtschaft setzt seit Jahrzehnten auf Pflanzenschutzmittel. Tonnenweise Pestizide werden jedes Jahr auf Getreide-, Kartoffel- und Zuckerrübenfelder versprüht, aber auch im Obstbau angewendet.

Gespritzt wird gegen Pilzkrankheiten, tierische Schädlinge und unliebsame Gewächse. Der Vorteil: Lebensmittel lassen sich so kostengünstig produzieren. Die Schattenseite: Viele Wirkstoffe gelten als problematisch, für Mensch und Natur. Das Problem: Die Lobby ist stark. Das bekommen auch die Malser zu spüren, als sich ihre Gegenbewegung entwickelt, Helden aus der Bürgerschaft. Eine Gruppe befreundeter Frauen, die erst Leserbriefe schreiben und später über Nacht mit Taschenlampen Transparente aufhängen. "Landschaften nützen und schützen - frei von Pestiziden für uns und unsere Gäste", steht darauf. Dafür haben sie vorher Leinentücher gesammelt und sich Gedanken gemacht, wie sie ihre Botschaften formulieren. Nicht zu aggressiv, aber trotzdem so klar, dass jeder versteht, worum es geht.

Im Laufe des Filmes begleitet man die Frauen auch dabei, wie sie Heu in weiße Schutzanzüge stopfen und Puppen zum Leben erwecken, mit Augen aus Klebebandstreifen. Wieder eine Nacht- und Nebelaktion, wieder eine Botschaft, wieder ein kleiner Triumph. Den größten Sieg holen sie aber im September 2014 bei der Volksbefragung. Dreiviertel der Malser sprechen sich gegen den Einsatz der Gifte aus, die Wahlbeteiligung liegt bei 70 Prozent. Auch wenn es so klingt: Die entscheidende Schlacht war damit noch nicht gewonnen. Erst erkennt der Gemeinderat das Ergebnis nicht an, dann folgen Drohungen und Klagen. Trauriger Tiefpunkt: Sogar das Familiengrab eines der Protagonisten wird geschändet. Aber die Malser geben nicht auf. Mit Stirnlampen sprühen sie Zahlen auf die Pflastersteine vor dem Rathaus. 2377 Zahlen, je eine für jede Stimme in der Volksbefragung.

Nach dem Ende des Films wird diskutiert. "Was können wir tun, um die Malser zu unterstützen?", fragt eine Wolfratshauserin. "Dass sie hier sitzen ist schon Teil der Lösung", sagt Regisseur Alexander Schiebel. "Der Film wird sich ausbreiten und Druck ausüben." Aber es sei natürlich auch wichtig, keine gespritzten Äpfel zu kaufen. "Oder sie rufen beim Tourismusbüro an und fragen, welche Radwege pestizidfrei sind."

© SZ vom 01.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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