Auf dem Penzberger Stadtplatz:Lesen und lesen lassen

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Wunderbar animierende Atmosphäre bei der Bücher- und Lektüreaktion. "Kreuzverhör" mit Krimiautorin Inge Löhnig

Von Paul Schäufele, Penzberg

Berlin und München sind dabei, Köln und Salzburg, Schweinfurt und Sankt Gallen. Und ja, auch Penzberg. Diese Städte verbindet ihre Begeisterung fürs Gedruckte und die Motivation, diese Begeisterung weiterzutragen. Unter 234 eingegangenen Bewerbungen wurden 26 Städte ausgewählt, in denen "Stadtlesen" dieses Jahr Halt macht. Zur Auftaktveranstaltung auf dem Penzberger Stadtplatz las am Donnerstag die Schriftstellerin Inge Löhnig aus ihrem neuen Roman.

Schon von Weitem wird deutlich: Da ist etwas im Gange auf dem Platz in der Stadtmitte. Sitzsäcke in den Stadtfarben Schwarz und Rot, Sonnenschirme, am Rand kleine Buden. Und über den ganzen Platz verteilt Büchertürme, Regale, an denen sich bedienen kann, wer möchte. Vom Reiseführer über den Band mit erotischen Kurzgeschichten bis zum Roman des Bürgerlichen Realismus. Stadtlesen verführt zur Lektüre und verwandelt so das Stadtzentrum, optisch und atmosphärisch. Das Lesefestival erzeugt Sichtbarkeit für ein Phänomen, das sonst diskret vonstattengeht. Man liest eben "im stillen Kämmerlein", in aller Regel alleine. Als Idealbild steht Sankt Hieronymus vor dem inneren Auge, der einsame Gelehrte, sich über heilige Schriften beugend. Selten sieht man eifrige Leser auf öffentlichen Plätzen, noch dazu in so prominenter Lage, noch seltener in Gruppen und überhaupt nicht sieht man, wie sich jemand außerhalb einer Buchhandlung die Zeit nimmt, Bücher auszuwählen, anzulesen, kurz: zu schmökern.

Italianità im bayerischen Oberland: Am lauen Spätsommerabend lässt es sich auch auf dem Penzberger Stadtplatz bei einer Lesung gut aushalten. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Wir bringen dem Bücherlesen eine Bühne." So formuliert es Sebastian Mettler, vom "Know-How-Pool Innovationswerkstatt" aus Salzburg. Er legte vor zehn Jahren mit seinem Hotelkonzept "Bibliotels" den Grundstein für das mobile Lesefestival, das heuer mit einer Jubiläumstour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz reist. Mettler skizzierte seine Vorstellung von Stadtlesen als Aktion mit dem Anspruch, etwas zu bewegen, als Kontrapunkt zur digitalen Welt und der "Entphantasierung". Lesen könne dazu beitragen, Menschen kreativer, empathischer und toleranter zu machen.

Gerade das Querlesen, das Ausprobieren verschiedener Gattungen und Genres kann anregen. Penzbergs Bürgermeisterin Elke Zehetner, stolz auf ihre Stadt, die im Programm des Festivals zwischen München und Klagenfurt steht, lud daher mit Blick auf zwei Grundschülerinnen, die es sich in den Sitzsäcken bequem gemacht hatten, ein: "Machen Sie es wie die beiden - kommen Sie morgens vorbei, nehmen Sie sich ein Buch und bleiben Sie bis zum Abend!" Über mangelhafte Auswahl dürfte sich niemand beschweren - etwa 3000 Bücher stehen den Lesehungrigen auf dem Stadtplatz zur Verfügung.

Krimiautorin Inge Löhnig. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Auch der von Mettler so genannte "bibliophile Höhepunkt" des Abends, die Lesung, zeugt von dem Anspruch des Festivals, Vielfalt zu repräsentieren. In Gelsenkirchen las Piet Klocke, in Wien Ilija Trojanow, in Penzberg nun Inge Löhnig. Sie präsentierte Kapitel aus ihrem Kriminalroman "Sieh nichts Böses", dem achten Fall ihres Ermittlers Konstantin Dühnfort. Eine Lesung mitten in der Stadt bietet Ungewöhnliches. Da mischen sich Straßenlärm und Literatur manchmal auf überraschend einleuchtende Weise: "Die Polizeisirene habe ich extra bestellt," lacht die Autorin. Und wie oft hat man schon das Wort "Fettwachsleiche" über einen Rathausvorplatz schallen hören?

Beim "Kreuzverhör", zu dem die Autorin eingeladen hatte, ließ sich ungezwungen über die Wichtigkeit der Recherche und das Eigenleben der Figuren plaudern. Das Stadtlesen bot den idealen Rahmen dafür: einer der letzten Sommerabende, den die Bücherbegeisterten unter freiem Himmel verbringen wollten, dazu nachfeierabendliche Straßengeräusche, nicht zuletzt der Duft von Speisen und Wein, der von den Ständen über den Platz zog - Italianità im Oberland.

www.stadtlesen.com/lesestaedte/penzberg/

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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