Am ersten Urlaubstag:"Wie in einem schlechten Agentenfilm"

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Bürgermeister Kiefersauer sieht sich von einem Mann verfolgt. Vor Gericht bleibt offen, ob der "Stinkefinger" gezeigt wurde

Von Andreas Salch, Benediktbeuern

Es war der erste Urlaubstag von Bürgermeister Johann Kiefersauer. Und dann das: Ein Handwerker war ihm am 24. August 2015 vormittags mit dem Auto bis vor sein Haus in Benediktbeuern nachgefahren. Kiefersauer stellte den Mann zur Rede, worauf der ihm ganz frech den Mittelfinger gezeigt haben soll. Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, ist unklar. Denn die Darstellungen zu diesem Fall gehen auseinander. Jedenfalls gelangte die Sache vor die Justiz. Am Mittwoch traf Kiefersauer den Handwerker wieder, diesmal vor dem Landgericht München II. Der 53-Jährige hatte gegen seine Verurteilung vor dem Amtsgericht Wolfratshausen zu einer Geldstrafe in Höhe von 1600 Euro Berufung eingelegt.

Richterin Marion Tischler schien auf alles gefasst gewesen zu sein. Offenbar sogar darauf, dass es zum Eklat kommt. Denn im Sitzungssaal B 264 nahmen auch zwei Justizwachtmeister als Aufpasser Platz, was bei Berufungsverhandlungen äußerst selten der Fall ist. Doch es blieb alles friedlich. Der Handwerker, angeklagt wegen Beleidigung, blieb ruhig. Und auch Bürgermeister Kiefersauer geriet nicht in Rage.

Der Grund für die "persönlichen Animositäten" zwischen dem Bürgermeister der Gemeinde Benediktbeuern und seinem Mandanten sei ein Gewerbebau, klärte Rechtsanwalt Florian Oppenrieder das Gericht zu Beginn der Verhandlung auf und fügte gleich noch hinzu: "Den ausgestreckten Mittelfinger gab es nicht."

Das Grundstück, auf dem der Gewerbebau des Handwerkers steht, der angeblich Ursache für das Zerwürfnis mit dem Bürgermeister ist, hatte die Frau des Angeklagten vor mehreren Jahren von der Gemeinde gekauft. Das Areal sei völlig vermüllt und sogar mit krebserregenden Stoffen kontaminiert gewesen, berichtete der Handwerker. Außerdem sei das Grundstücks durch die Gemeinde unfachmännisch saniert worden. Als er die Kommune dafür kritisiert habe, sei er im Gegenzug mit Auflagen beim Bau seiner Werkstatt gegängelt worden, so der Angeklagte. In dieser Situation habe er sich gedacht, er sollte dem Bürgermeister "mal auf die Finger schauen".

Da Johann Kiefersauer 2014 zum Ersten Bürgermeister gewählt wurde, darf er keiner Nebentätigkeit nachgehen. Wenn er dies doch tun will, muss er es sich vorher genehmigen lassen. An jenem 24. August 2015, als der Handwerker Kiefersauer den Stinkefinger gezeigt haben soll, half der Bürgermeister nach eigener Aussage für etwa 15 Minuten in seinem Betrieb aus, weil gerade Not am Mann gewesen sei. Dabei hatte ihn der Angeklagte beobachtet. Als Kiefersauer wegfuhr, fuhr ihm der Handwerker bis zu dessen Anwesen hinterher und wartete in seinem Wagen.

Der Bürgermeister hatte genug. Denn es soll an jenem Tag nicht das erste Mal gewesen sein, dass der Angeklagte ihn im Auto verfolgt habe. Er sei sich damals "wie in einem schlechten Agentenfilm vorgekommen", sagte Kiefersauer zu Richterin Marion Tischler. Deshalb sei er zu dem 53-Jährigen, der in seinem Auto saß, hingelaufen und habe ihn aufgefordert, die Scheibe herunterzudrehen. In diesem Augenblick habe der Handwerker mit der einen Hand sein linkes Augenlid heruntergezogen und mit der anderen die "berühmte Geste gemacht". Das Herunterziehen des Augenlids hatte der Handwerker bei seiner Vernehmung eingeräumt. Den Stinkefinger habe er dem Bürgermeister aber nicht gezeigt, versicherte er. "Das ist eine totale Lüge." Kiefersauer hatte später Anzeige erstattet. Das habe er aber nur gemacht, weil ihm der Angeklagte sogar bis zur Polizei nach Kochel nachgefahren sei, betonte er.

Angesichts der verfahrenen Lage fand Richterin Marion Tischler eine salomonische Lösung. Sie stellte das Verfahren gegen ein Geldauflage zugunsten einer sozialen Einrichtung ein. Der Handwerker ist somit nicht vorbestraft. 200 Euro für die Brücke Wolfratshausen schlug die Vorsitzende vor. Der Verein leiste mit seinem Täter-Opfer-Ausgleich "sehr gute Arbeit". Der Handwerker erhöhte den Betrag sogar freiwillig auf 300 Euro.

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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