Als der Swing verboten war:Was die Nazis nicht hören wollten

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Die Gedenkveranstaltung zur NS-Bücherverbrennung in der ausverkauften Loisachhalle widmet sich der "entarteten Musik". Namhafte Künstler und Schüler singen und spielen gemeinsam gegen das Vergessen

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Eindrucksvoller kann man wohl nicht demonstrieren, wie wichtig die Erinnerung ist: Wenn Geschichte es vermag, die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen und die Geschehnisse aus einer fernen Zeit dicht heranrücken lässt. Coco Schumann war ein jüdischer Musiker. Er spielte in Berliner Bars die bei den Nazis verfemte Swingmusik, wurde nach Auschwitz deportiert, wo er an der Selektionsrampe musizieren musste. Auch der Todesmarsch Ende April 1945 blieb ihm nicht erspart. Bei Wolfratshausen wurde er befreit und im Lager Föhrenwald gesund gepflegt. Kaum war er auf den Beinen, griff er wieder zur Gitarre. "Ich bin ein Musiker, der im KZ war, nicht ein KZler, der Musik macht", sagte der 2018 verstorbene Schumann einmal.

Es war ein Auftritt, der unter die Haut ging, als Geretsrieder Realschüler und Gymnasiasten Schumann in einer Hommage wieder zum Leben erweckten. "Swing tanzen verboten" war in Frakturschrift auf ein Schild gepinselt, das Schülerinnen hereintrugen, nur um gleich eine flotte Sohle aufs Parkett zu legen. Danach stimmte Lehrerin Eva Greif mit zwei Kolleginnen ein Swing-Medley an. Als sich zu den sehnsuchtsvollen Klängen von "Over the rainbow" Jugendliche und Erwachsene an den Händen fassten, war das mehr als die Schlussnummer. Es war ein Hoffnungsschimmer, dass diese Jugend nicht vergessen wird.

Auch Grundschüler beteiligten an den Darbietungen zu "Entartete Musik". (Foto: Hartmut Pöstges)

Seit 2009 findet in Wolfratshausen im zweijährigen Turnus das von dem Historischen Verein Wolfratshausen, dem Verein Erinnerungsort Badehaus und dem Kulturverein Isar-Loisach ins Leben gerufene Gedenken zur NS-Bücherverbrennung statt. Die Benefizveranstaltung hat sich längst zum interkommunalen Zusammenschluss zwischen Wolfratshausen und Geretsried etabliert, wie sich am Freitagabend an der auch mit erfreulich vielen Lokalpolitikern aus beiden Städten vollbesetzten Loisachhalle ablesen ließ. Nach der sogenannten Entarteten Kunst 2017 lag der Schwerpunkt diesmal auf der "Entarteten Musik", die so hieß, weil sie nicht der Ideologie der Nazis entsprach. Die "Negermusik" Jazz wurde genauso gnadenlos verfolgt wie Kompositionen der Moderne, jüdische und politisch unliebsame Musiker waren zur Emigration gezwungen oder starben in den Konzentrationslagern. Auch diesmal gelang es Sibylle Krafft und Assunta Tammelleo, einen Abend zu gestalten, der im Gedächtnis bleibt, indem sie Künstler von Rang und Namen zusammen mit den Schulen ins Boot holten.

Den Schülerinnen und Schülern standen namhafte Künsterl, unter anderem Peter Spielbauer, zur Seite. (Foto: Hartmut Pöstges)

Klaus Doldinger spielte zwar nicht seinerzeit verfemte Musik, sondern seine Erkennungsmelodie "Das Boot", das aber ganz auf Jazz. Als Stephanie Lottermoser nicht nur als "Weltklasse-Saxofonistin", sondern auch als geborene Wolfratshauserin vorgestellt wurde, gab es stürmischen Applaus. Die Schauspielerinnen Ilse Neubauer, Marianne Sägebrecht und der Kabarettist Claus Steigenberger lasen berührend aus Texten verfemter Autoren. Dass die in Neufahrn lebende Andrea Schumacher eine begnadete Geigerin ist, wusste man bei den ersten zarten Tönen eines Stücks des als "atonalen Geräuschemachers" verfemten Komponisten Paul Hindemith. Ihr Sohn Felix Lorenz, Schüler an der Waldorfschule Geretsried, hatte zuvor schon seine musikalische Begabung am Cello unter Beweis gestellt. Überhaupt war es fürs Publikum die schönste Erfahrung, zu verfolgen, wie vielschichtig sich die jungen Leute mit dem schweren Thema auseinandergesetzt hatten.

Schon die Kleinsten, die Waldramer Grundschüler nämlich, leisteten mit einem Tanz zu Strawinskys "Feuervogel" ihren Beitrag. Die Realschüler Wolfratshausen bewiesen ihre Stimmsicherheit mit dem berühmten "Dachau-Lied" und "We are the World". Sehr ergreifend war ein Auftritt des Wolfratshauser Kinderchors, der aus der Kinderoper "Brundibár" sang. Denn Sibylle Krafft berichtete dazu, dass die jungen Darsteller von damals gleich nach den Aufnahmen für einen Propagandafilm von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurden. Die Mittelschule Geretsried legte eine tolle Performance mit Zwölftonmusik und dem Glamour alter Swing-Schlager hin. Und die Mittelschule Wolfratshausen widmete sich in einer abwechslungsreichen Nummern-Revue der Biografie des jüdischen Komponisten Kurt Weill.

Anspruchsvoll war der Auftritt der Theatergruppe vom Gymnasium Icking, die sich Bertolt Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen" vornahm und mit einer im Chor gesprochenen Mahnung große Wirkung erzielte. Der Ickinger Wortkünstler Peter Spielbauer erwies sich als echter Publikumsliebling. Herrlich anarchisch köpfte er mit der Axt ein Buch, dass die Papierschnitzel nur so spritzten, um anschließend mit ernsten Worten die Jugend zu beschwören, hellhörig zu bleiben und sich von dem "übermächtigen Blabla" der Smartphones nicht einlullen zu lassen.

© SZ vom 13.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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