Ältestentreffen 2018:"Keine Tiefe, keinen Hintergrund"

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Unter dem Motto "Mutter Erde braucht Hilfe" treffen sich Vertreter von Naturvölkern in der Wolfratshauser Loisachhalle. Rituale, Theorien und Kritik prägen das Symposium. Konkrete Handlungsvorschläge für Mensch und Politik bleiben aus.

Von Thomas Kubina, Wolfratshausen

Stammesälteste, darunter Schamanen und Abgesandte aus Ländern wie Bolivien, Ecuador, Mexiko, USA und Kanada versammelten sich am Samstag in der Loisachhalle. Für 100 Euro Eintritt plus zehn Euro Essensgebühr bekamen die Besucher des Ältestentreffens spirituelles Programm, diverse Theorien sowie Chili con und sin Carne. Der Tag stand unter dem Motto "Mutter Erde braucht Hilfe", wobei sich die Hauptthemen um Chem-Trails und Gletscherschmelze durch Mikrowellen drehten.

Jede Hilfe zu spät kam allerdings für einen Steinadler und eine Habichteule, die laut Veranstalter Michael Kalagin alias Tacan'sina durch Gift gestorben und nun ausgestopft in der Loisachhalle ausgestellt waren. Sie sollten auf den verantwortungslosen Umgang des Menschen mit der Natur aufmerksam machen.

Tote Tiere, aber einer anderen Ursache wegen, findet Tacan'sina, 72-jähriger Münchner Schamane, auch auf seiner Windschutzscheibe, wenn er mit dem Auto nach Berlin pendelt. Heute müsse er keine vier Mal, wie noch vor einigen Jahren, anhalten und seine Scheibe von den unzähligen Insekten säubern. Für ihn ein klares Indiz für das allgemeine Insektensterben durch Umweltverschmutzung. Zum Vergleich: Die Verkehrs-Zählstelle Garching-Nord auf der A 9 bei München zählt täglich 146 579 Fahrzeuge. Bei geschätzten 50 toten Insekten pro Scheibe sind das - rein rechnerisch - täglich mehrere Millionen tote Tiere. Dabei ist das Autofahren gar nicht die Hauptursache des Insektensterbens.

Pow Wow in der Wolfratshauser Loisachhalle: Indianer zelebrierten mit Vertretern weiterer Naturvölker Rituale und legten ihre Sichtweisen über Ursachen und Probleme im Naturschutz dar. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Den Appetit verdarb das nicht. Allerdings blieb es ein "Wakan Tanka", also ein "großes Geheimnis", wie in der indianischen Sprache der Schöpfergeist auch genannt wird, warum die Ältesten lieber die bayerische Speisekarte in der Flößerei studierten statt mit den rund 150 Gästen das Chili zu probieren. Das hatten die Naturvölkervertreter aus aller Welt schließlich den als Brüdern und Schwestern bezeichneten Gästen zum Event angebotenen. Um abseits des Programms mit den Teilnehmern in Kontakt zu treten, musste offenbar eine rein geistige Verbundenheit reichen. Schließlich seien "alle miteinander verwandt", was in dem Flyer der kleinen indianischen Wörterkunde als "Mitakuye oasin" bezeichnet wird.

Doch zurück zum "Wakan Tanka". Dieser habe laut Takan' sina keinerlei Schuld an Kriegen oder dem missbräuchlichen Umgang mit der Natur. Erst im Laufe der Zeit habe sich auch ein indianischer Terminus für Krieg entwickelt. Kriegerische Auseinandersetzungen gingen ihm zufolge auf weltliche Regierungen und andere religiöse Gemeinschaften zurück. "Wir müssen das Volk überzeugen, auf Religionen und Regierungen zu verzichten", sagte der Veranstalter. Kritik übte er insbesondere an der christlichen Kirche. Diese habe "keine Tiefe, keinen Hintergrund, da alles an Dogmen gebunden" sei. Die Zehn Gebote sprächen in keiner Weise von Schöpfungsbewahrung oder -verantwortung. Was Tacan'sina außer Acht ließ, ist, dass Papst Franziskus allerdings in seiner Enzyklika "Laudato si" ökologische Verantwortung und damit Schöpfungsbewahrung an und- ausspricht. Dabei wäre Tacan'sina beinahe selbst katholischer Priester geworden, wie er zugab, und hatte sogar Schulkindern Religionsunterricht gegeben. Doch nachdem er von seiner indianischen Herkunft erfahren hatte und sich mit Anfang 30 verstärkt mit deren Kultur auseinandersetzte, habe er sich der indianischen Naturreligion zugewandt. Ein weiterer Grund für ihn, der christlichen Kirche den Rücken zu kehren, war das vierte Gebot, in dem man Mutter und Vater ehren solle. Das reichte ihm nicht. Wo bleibe da die ökologische Verantwortung, habe er sich gefragt. Auch seine Schulklasse habe darauf keine Antwort finden können. Für Tacan'sina ein Erweckungserlebnis.

Eine Rolle spielten auch Zeremonialgegenstände wie jene auf dem "Naturaltar", darunter Adlerschwinge, Mais und Mehl. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ob das Ältestentreffen in der Loisachhalle eine Erweckung für die ökologische Sache war, bleibt allerdings dahingestellt. Denn die erhofften, konkreten Handlungsvorschläge, wie sich Naturschutz und heutige Lebensweisen in Einklang bringen lassen, blieben ebenso aus wie Stellungnahmen zu Massentierhaltung oder CO2-Ausstoß. Für Außenstehende blieb es bei "Wakan Tanka", einem "großen Geheimnis."

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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