"Wohnen im Alter und bei Behinderung":Wie man sein Zuhause ans Alter anpasst

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Seit 30 Jahren steht die Beratungsstelle Wohnen des Vereins Stadtteilarbeit älteren Menschen mit Rat und Tat zur Seite, die behindertengerechte Umbauten planen. Das ist wichtig, damit die Kosten für eine bodengleiche Dusche nicht ausufern

Interview von Milena Fritzsche, Schwabing West

Die meisten Menschen verdrängen das Älterwerden, sagt Bernhard Reindl, der beim Verein Stadtteilarbeit für den Bereich "Wohnen im Alter und bei Behinderung" zuständig ist, einer Beratungsstelle, die dieses Jahr 30 Jahre alt geworden ist. An Reindl wenden sich die Menschen dann, wenn sie im Alltag in ihrer Wohnung nicht mehr zurecht kommen. Im Gespräch mit der SZ erläutert er, wie wichtig eine frühzeitige Planung ist, wer die Kosten übernimmt und welche Defizite es im geförderten Wohnungsbau gibt.

Herr Reindl, wann sollten Menschen zum ersten Mal darüber nachdenken, wie sie im Alter wohnen möchten?

Bernhard Reindl: Sie sollten früh präventiv anfangen. Wer in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt ziehen möchte, sollte sich das mit 50 Jahren überlegen. Alle, die in ihrer eigenen Wohnung bleiben möchten, das sind 95 Prozent, sollten im Alter dann daran denken, wenn sie renovieren oder einen Umzug planen.

Wann fragen Betroffene bei Ihnen um Rat?

Im Leben beschäftigt man sich mit bestimmten Dingen erst dann, wenn man unmittelbar betroffen ist. Die meisten kommen erst dann zu uns, wenn sie bereits erhebliche Probleme im Alltag haben und dringend Hilfe brauchen. Nur etwa fünf Prozent sind Fälle, die nicht akut sind.

Wie groß ist denn die Bereitschaft, die eigene Wohnung zu verändern?

Wir sagen, dass man die Wohnung an veränderte gesundheitliche Bedürfnisse anpassen muss. Aber ich würde vermuten, dass der größere Teil der Menschen, sich eher an die Probleme anpasst. Man merkt, dass es schlechter geht und kommt vielleicht eines Tages nicht mehr auf den Balkon, weil die Schwelle zu hoch ist; man kommt irgendwann auch nicht mehr in die Badewanne. Dann wohnt derjenige zwar noch in seiner Wohnung, wird dort aber zu einem Gefangenen, weil er nicht mehr rauskommt ohne Hilfe und auch seine Bedürfnissen, wie Körperhygiene kaum noch bewerkstelligen kann. Das ist ein immenser Verlust an Lebensqualität.

Die Umgebung ans Leben anpassen: Wer im Rollstuhl sitzt, muss darauf achten, dass Haushaltsgeräte wie zum Beispiel der Backofen gut erreichbar sind. (Foto: Privat)

Die eigene Wohnung umzubauen ist doch auch eine Kostenfrage. Gerade in München, wo das Wohnen sehr teuer ist.

Unsere Klientel ist eher die untere Einkommenshälfte. Manchmal sind die baulichen Voraussetzungen in den Wohnungen so ungünstig, dass wir einen Umzug in eine barrierefreie Wohnung empfehlen müssten. Aber das können sich die Betroffenen nicht leisten. Dann muss doch umgebaut werden. Wenn wir ein Bad umbauen - also die Badewanne rausnehmen und eine bodengleiche Dusche einsetzen - kostet das 20 000 Euro. Dafür gibt es aber Fördermöglichkeiten, etwa von der Pflegekasse oder vom Förderprogramm der Stadt München.

Sind damit alle Kosten gedeckt?

Wir haben Einzelfälle, bei denen Stiftungen, der Vermieter oder auch der Betroffene selbst einen Teil der Kosten übernehmen können. Es ist sinnvoll, eigenes Geld zu verwenden. Denn würden die gleichen Personen in ein Münchner Pflegeheim gehen, müssten sie 3000 Euro pro Monat zahlen. Davon übernimmt die Pflegekasse circa 1000 Euro, den Rest muss der Betroffene selbst zahlen. Und dann fragt man sich: Wer kann das zahlen? Die Durchschnittsrente liegt bei Frauen bei 600, bei Männern bei 1100 Euro.

Auf welchen Wegen finden Betroffene zu Ihnen?

Bei einer so großen Stadt wie München könnten wir das allein gar nicht leisten. Wir arbeiten mit anderen Einrichtungen zusammen und decken auch nur die Spitze des Eisberges ab. Erst wenn es kompliziert und technisch aufwendig wird, verweisen andere Akteure auf uns, etwa Ärzte, Kliniken oder die Alten-Service-Zentren. Denn wir beraten nicht nur, sondern haben auch Architekten, die Entwürfe entwickeln. Und wir kümmern uns auch um Termine bei Handwerkern, die in München übrigens immer ausgebucht sind.

Wer seine Wohnung umbauen will, um sie auch im Alter zu nutzen, erfährt von Bernhard Reindl alles Nötige. Die Beratungsstelle Wohnen an der Aachener Straße ist über Telefon 35 70 430 zu erreichen. (Foto: Angelika Bardehle)

Wie finanziert sich die Beratungsstelle?

Wohnberatung ist eine freiwillige Leistung der Kommunen. Wir gehen vor Ort, machen eine Problemanalyse, erarbeiten Lösungsvorschläge mit den Betroffenen, beraten zur Finanzierung und unterstützen die Umsetzung. Wir sind ein Sondermodell, das sich die Stadt München leistet und da auch Pionierin ist. In anderen größeren bayerischen Städten werden Sie keine vergleichbare Wohnberatung finden.

Können Sie allen helfen, die bei Ihnen Rat suchen?

Im vergangenen Jahr kamen 501 Menschen zur Beratung. Momentan haben wir Wartezeiten von acht Wochen. Das ist schlecht, weil es meist akute Fälle sind. Letztlich sind wir für alles zuständig, aber wir versuchen, das Umfeld einzubinden und schauen, ob Angehörige helfen können. Das ist für uns ressourcenschonend, und die Verantwortung bleibt bei den Menschen. Manchmal lassen sich die Betroffenen also nur beraten und nehmen die weiteren Schritte dann selbst in die Hand. Das funktioniert übrigens in den Landkreisen besser als in der Stadt München.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Möglicherweise liegt es daran, dass die Menschen in den Landkreisen häufiger ein Eigenheim besitzen und sich nicht mit einem Vermieter oder einer Eigentümergemeinschaft abstimmen müssen. Vielleicht haben Sie dort auch ihr familiäres Umfeld in der Nähe, das unterstützen kann.

Gibt es in Politik und Verwaltung ausreichendes Bewusstsein fürs Wohnen im Alter?

Bei gefördertem Wohnungsbau in München haben wir nur noch barrierefreie Wohnungen. Allerdings taugt nur ein Prozent davon auch für Rollstühle. Das ist zu wenig. Wir haben außerdem häufig die Situation in München, dass Wohnungen, die eigentlich barrierefrei sind, an die falsche Klientel gehen. Das ist ein Ärgernis; das ist politisch einfach nicht gut gesteuert.

Was reagieren Vermieter auf die Umbaumaßnahmen?

Vor 20 Jahren sind wir bei Vermietern noch auf größere Widerstände getroffen. Das ist jetzt besser, obwohl es die Vermieter hier in München eigentlich nicht nötig haben, die können aufgrund der absoluten Wohnungsnot alles zu jedem Preis vermieten. Da würde ich mir wünschen, dass Betroffene einen Anspruch haben, barrierefreie Umbauten durchzusetzen - auch in Eigentümergemeinschaften gegen die Mehrheitsmeinung. Da könnte der Gesetzgeber nachbessern.

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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