Wiesn-TV:Und als Höhepunkt eine Live-Schalte in die Babypause

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Auch Wiesn-Promis - hier Boris Becker mit Frau Lily und Verona Pooth - hat München TV natürlich im Programm. (Foto: Imago)

Ein Abend vor der Mattscheibe mit Oktoberfest-Programm lässt einen dankbar für jede Werbeunterbrechung werden

Von Johanna Bruckner

Nach anderthalb Stunden hat sich ein dumpfer Schmerz festgesetzt, alle drei Minuten kommt dieser Schmerz heftig wieder, immer dann, wenn zwischen den Beiträgen ein Blasmusik-Techno-Jingle ertönt. Dann packt einen heißer Neid auf den jungen Mann, den sie eben noch bei München TV gezeigt haben. Der hatte eine wunderbar weich aussehende Hendl-Mütze, mit elektronisch zuckenden Schenkeln! Feine Sache, könnte man sich diese Mütze jetzt über Augen und Ohren ziehen.

Aber es hilft ja nix, der Auftrag ist klar, einen Abend Wiesn-TV gucken, dahoam, ohne Mass, dafür mit Hendl süß-sauer vom chinesischen Lieferservice. Um das Ergebnis nach vier Stunden und 15 Minuten vorwegzunehmen: Das Oktoberfest im Fernsehen ist ähnlich lustig, wie die Werbung eines großen Münchner Trachtengeschäfts. In der fliegen ein Trachtenhemd, eine Lederhose und Socken in Richtung eines Holzstuhls im bayerischen Landhausstil, eine männliche Stimme aus dem Off erklärt, woher sie diesen sauguaden Fetzen hat, natürlich von besagtem Folklorefummel-Fachhändler. Und dann - an dieser Stelle bitte den Blasmusik-Techno-Tusch denken - die Pointe: Segelt zusätzlich ein Dirndl auf den Kleidungshaufen, sagt die männliche Stimme: "Des Dirndl? Des hob i von der Wiesn."

Ach nee, mia san ja in Minga. Und München ist nur einmal im Jahr, schalalalala. Zugegeben, nüchtern und mit einer Mattscheibe dazwischen kommt der Massenintoxikationszauber nicht ganz so rüber. Oder wie es München-TV-Reporter Christopher Griebel beim Anstich von CSU-Mann Markus Söder im Hofbräu-Festzelt sagt: "Da kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass man Durst hat."

Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, dass Söder laut Reporter zehn Minuten zu spät dran war, was in der Zeitrechnung bierkonditionierter Zeltbesucher eine qualvolle Ewigkeit ist. Dafür hatte kurz zuvor Oberbürgermeister Dieter Reiter sein Fass pünktlich um 12 Uhr mit zwei Schlägen ozapft (ganz wichtige Info, wird im Verlauf des Abends 462 Mal wiederholt). Klarer Sieg für den Sozialdemokraten im Wiesn-Schwanzvergleich. Apropos Libidotraining: Der Werbespot für einen Münchner "Gentlemen's Club" wirkt im Vergleich zurückhaltend-geschmackvoll. Und das Etablissement heißt aus dem Englischen übersetzt immerhin "Brüste", kein Witz.

Ohnehin möchte man bei jeder Werbeunterbrechung weinen vor Dankbarkeit. Dazwischen führen Alex Onken (sonst rasender Red-Carpet-Reporter) und Eva Grünbauer (sonst nur Menschen bekannt, die aus Versehen im Lokalfenster von Sat.1 landen) durch die dreistündige Live-Übertragung von München TV. Die beiden sitzen also im Studio im Hofbräu-Festzelt und tun das, was man eben so tut als Wiesn-Chronist.

Anekdoten über Franz Josef Strauß erzählen, zuprosten, Gewinnspiel anmoderieren, zuprosten, irgendeinen noch lebenden Josef nebst Gattin interviewen (vermutlich CSU, vermutlich wichtig), zuprosten, den Wiesn-Zaun und den reibungslosen Ablauf der Eingangskontrollen loben (ach ja, Wiesnchef und Zweiter Bürgermeister Josef Schmid war's), zuprosten, der Gastgeberfamilie Steinberg zur geschmackvollen Tracht mit ganz vielen ganz kleinen HB-Logos gratulieren (nimm das Loisl Vuitton!), zuprosten, italienischem Besucher mit cinque Mass intus die deutsche Willkommenskultur näherbringen ("Der soll doch mal Deutsch lernen, wenn er jedes Jahr nach Deutschland kommt"), und so weiter und sofort.

Zwischendurch, wenn gerade nicht Onken und Grünbauer moderieren oder Werbung läuft, gibt es Einspieler zu kreativen Kategorien wie Wiesn-Jobs, Wiesn-Tracht, Wiesn-Wetter oder Wiesn-Promis. Für letzteres Format ist eine junge Frau namens Anja Guder zuständig, die sich selbst als "Guder-Luder" bezeichnet und Ex-Fußballer/Schauspieler Jimmy Hartwig entlockt, dass er gerne mal mit Barbra Streisand über die Wiesn schlendern würde. Man mag sich nicht vorstellen, wenn Barbra dort aus Versehen Barry von "Barrys Wiesn-Wette" über den Weg liefe, der ihr für die Teilnahme an einem grenzdebilen Spielchen eine Plastikarmbanduhr in Bayerisch-Weiß-Blau verspricht.

Zum Glück ist es mittlerweile 20.15 Uhr, also eben mal rüberschalten zum BR, wo gerade O'zapft is - Der erste Wiesn-Tag startet. Aber, oh Schreck, nach kürzester Zeit: akute Blasmusik-Techno-Jingle-Entzugserscheinungen. Also eben noch mitgenommen, dass es auf der Wiesn jetzt auch mit Schoko überzogene Chili-Schoten gibt (für die ganz "Schoafen") und dass BR-Reporter den Einzug der Wiesn-wirte ähnlich tragend kommentieren, wie die öffentlich-rechtlichen Monarchieexperten eine Adelshochzeit. Dann fix zurück zu München TV, hier wurde schließlich noch eine Live-Schalte in die Babypause von Marion Schieder versprochen. Schieder berichtet normalerweise an der Seite von Onken über die Wiesn und sie macht das - ironiefrei - ganz wunderbar. So sind drei Minuten Skype-Schalte unterhaltsamer als drei Stunden Umpftata untermaltes Gelaber.

© SZ vom 19.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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