"What you see is what you get":Theater im Technoclub

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Schauspiel unter der Discokugel: Die Gruppe "What you see is what you get" will Theaterneulinge und Tanzverweigerer zusammenbringen. (Foto: Hannes Rohrer)

Nach Vorführungen von "What you see is what you get" wird bis in die frühen Morgenstunden zu Techno getanzt. Wo das Theater aufhört und der Clubabend beginnt, ist dabei nie so ganz sicher - auch die Grenzen des guten Geschmacks werden mitunter ausgereizt.

Von Christoph Neder

Langsam drückt die junge Frau ihren Körper an die Scheibe und rutscht daran herab. Kunstblut tropft über ihren schmalen Körper, den nur ein knapper Slip und ein BH verdeckt. Sie ist gefangen in einem Glaskasten. Beobachter um sie herum starren sie entweder fasziniert an oder wenden sich angewidert ab. Hinter ihr sitzt ein Keyboarder, der wie in Trance abgehackte Noten spielt. Sie ergeben zwar keine Melodie, aber untermalen das eigenwillige Szenario.

Es ist weit nach Mitternacht auf einem Technofestival und die Performance stammt vom freien Theaterkollektiv "What you see is what you get". Die etwa zehn Mitglieder der Gruppe treten lieber in Clubs als in Theatern auf. Sie kombinieren Performance, elektronische Musik und Visuals. "Wir wollen uns nicht in Schubladen großer Theaterhäuser zwängen lassen" sagt Julia Müller, die - halb im Scherz, halb ernst - als heimliche Chefin der Gruppe bezeichnet wird. "Wir möchten auch ein anderes Publikum ansprechen.''

Vor dem gläsernen "Showroom", wie die Inszenierung sich nennt, steht ein Mann im Pelzmantel und klappert mit einer Münzdose. "Fünf Taler für den finalen Exzess", ruft er wie ein Marktschreier. Etwas unsicher zücken Besucher ihre Geldbeutel und werfen Kleingeld in die Sammelbüchse. Sie tuscheln miteinander und wirken ein wenig ratlos über das experimentelle Theater. Dass mit "Macbeth" ein eigentlich klassisches Theaterstück von den beiden Schauspielern im gläsernen Käfig aufgeführt wird, fällt den meisten erst spät oder gar nicht auf. Der Inhalt des Stückes steht auch nur bedingt im Mittelpunkt - vielmehr geht es um das Experiment. Wie weit werden Schauspieler für wenige Münzen gehen?

Experimenteller Selbstversuch

"Künstler sind in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt. Sie sind, wie in allen anderen Berufen, dem zahlungsfähigen Publikum unterworfen, müssen sich fast schon prostituieren, um überleben zu können", fasst Felix Kruis die Theorie zusammen, die sie unter anderem dazu bewegt hat, sich dem experimentellen Selbstversuch anzunehmen.

Bei ihren Aufführungen spielen sie mit dem Publikum. Ihr Motto: "Was sind die Besucher bereit zu sehen?" Die Besucher haben keinen festen Platz, Bühne und Zuschauerraum gehen ineinander über. Oftmals weiß man nicht genau, wer Zuschauer ist und wer zum Ensemble gehört. Damit haben sie schon in der Münchner Roten Sonne, in der Regensburger Suite 15 oder im Schwarzen Schaf in Augsburg für Aufsehen gesorgt. Für "What you see is what you get" gibt es keine Orte, die "unbespielbar" sind.

Mit dabei ist auch Natascha Simons, 24. Bis Anfang 2012 war sie als Teil der Leitung von "Ludwig und Kunst - die offene Bühne" in München tätig, zuvor absolvierte sie eine Regieassistenz an der Bayerischen Theaterakademie. Die Arbeit mit "What you see is what you get" gefällt ihr aus einem Grund: Sie kann ihre Vorstellungen und Ideen selbstverantwortlich durchsetzen, ohne von einer höheren Instanz abhängig zu sein.

Club und Theater zu verbinden, liegt für das Kollektiv nahe: Sie fühlen sich sowohl auf der Bühne als auch auf der Tanzfläche wohl, sie wollen einerseits klassisches Theater aufführen, andererseits mit den Gewohnheiten eines regulären Theaterbesuches brechen. So ergänzen sich die beiden Elemente und wachsen zu einer Einheit zusammen. Statt einem kleinen Pausen-Prosecco in den Kammerspielen gibt es Jägermeister an der Bar der Roten Sonne. Das mag beim ersten Blick vielleicht befremdlich wirken, aber nachdem die anfänglichen Berührungsängste abgelegt sind, beginnen die Gäste die Absichten der Künstler zu verstehen. Und kommen daher meist auch gerne wieder zur nächsten Inszenierung.

"Unser Publikum kann man nicht so klassisch beschreiben", sagt Antonia Beermann, die ebenfalls Teil der Gruppe ist. "Es setzt sich aus den jungen Clubgängern zusammen, die sowieso schon ihr ganzes Wochenende in der Roten Sonne verbringen und den Gedanken, Theater im Club zu machen, interessant finden. Wir haben aber auch klassische Theaterbesucher." Nach der Theatervorführung wird bis in die frühen Morgenstunden getanzt, wobei man sich nie genau sicher sein kann, wo das Theater aufhört und der Clubabend beginnt. Theaterneulinge und Tanzverweigerer zusammenzubringen - das ist das größte Ziel für "What you see is what you get".

Finanzierung in Eigenregie

Dass unabhängige Theaterkollektive wichtig für eine lebendige Kulturszene sind, findet auch Jürgen Enninger vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft. "Sie sind Vermittler, sie führen theaterferne Personen an das Theater heran." Ein unabhängiges Theaterkollektiv zu sein, bedeutet aber auch, mit wenig Geld auszukommen. Ihre Veranstaltungsreihe "Nichts ist beständiger als der Wandel" haben sie in Eigenregie finanziert; bei einigen anderen Projekten unterstützt sie die Stadt München oder das Kulturreferat. Dennoch ist es schwierig, die oft horrenden Kosten decken zu können - für die Mitglieder des Kollektivs und die Schauspieler der Stücke bleibt meist nur wenig Geld übrig. Daher sind sie auch auf andere Jobs angewiesen, wenngleich ihre Hauptbeschäftigung das Theater bleibt.

Beim Theater im Club lassen sie den Raum unverändert. "Clubräume strahlen sehr viel aus. Wenn wir dort eine Bühne installieren würden, wären wir wieder beim herkömmlichen Theater", sagt Julia - und dorthin wollen sie ja nicht. Der Club hingegen bietet etwas, das andere Off-Locations oder richtige Bühnen eben nicht haben: Eine leicht unterkühlte, technoide Umgebung, die durch ihre derben Darbietungen erst zum Leben erwacht. Dass sich nicht alle Besucher mit ihren Stücken identifizieren, sieht das Kollektiv eher als Vorteil denn als Schwäche ihrer Show: "Wir wollen keine einheitliche Meinung. Es ist gerade unser Ziel, unterschiedliche Empfindungen hervorzurufen", sagt Felix.

Als die Performance im gläsernen Showroom ihr Ende findet, könnten die Meinungen kaum zwiespältiger sein. Während sich die beiden Schauspieler gegenseitig mit künstlichem Blut überschütten, wendet sich ein großer Teil der Zuschauer mit Ekel ab. Andere bleiben stehen und verfolgen begeistert das letzte Aufbäumen der Schauspieler.

© SZ vom 23.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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