Westkreuz:"Keine Feier ohne Meier"

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Alles auf Anfang: Im Frühjahr 1943 waren von der Dorniersiedlung nur noch zerbombte Häuser übrig. (Foto: privat)

Im kommenden Jahr steht im Westkreuz das 50-jährige Jubiläum an. Und schon jetzt kramen die wenigen noch lebenden Zeugen dieser Aufbruchszeit in ihren Erinnerungen

Von Ellen Draxel, Westkreuz

Wiesen. Nichts als Wiesen und Felder, durch die der Sommerwind streicht. Kein Haus findet sich um 1900 in der Gegend westlich von Pasing, die heute so dicht besiedelt ist. Neuaubing und das Westkreuz existierten damals noch nicht, lediglich drei Straßen führten aus der Stadt heraus: die Landsberger Straße, heute bekannt als Bodenseestraße; die Pasinger Straße, jetzt zu finden unter dem Namen Aubinger Straße und die Lochhamer Straße, die zur Limesstraße geworden ist.

Etwa dreißig Jahre später stehen dort zumindest einige kleine Siedlerhäuser. Walter Geist ist 1931 an der Hellensteinstraße geboren, Martin Feneberg 1934 an der Nonnenhornstraße. "Wichtig für uns waren zwei Bauernhöfe mit ihrer Landwirtschaft, der Kreuzhof und der Menzinger Hof", erzählt das Westkreuzer Urgestein Geist. Er erinnert sich noch an Treibjagden, die er als Junge miterlebt hat, und an die Aubinger Straße mit ihren tollen Ahornbäumen: "Ich musste in der Schule mal einen Aufsatz über meine liebste Straße schreiben und wählte die Aubinger Straße." Feneberg erzählt vom Ausbesserungswerk der Bahn an der Papinstraße, das 1905 errichtet wurde und Häuser für die Angestellten nach sich zog. Und von der Limesschule und der 1923 gebauten Notkirche direkt daneben. Beide kennen noch die zahlreichen Kiesgruben, "in denen man Skifahren konnte". Eine befand sich dort, wo jetzt der Ramses steht, eine andere an der Sipplinger Straße. Feneberg stand als Bub oft an der Bahnstrecke von Pasing nach Fürstenfeldbruck und beobachtete die Güterzüge. Die sogenannte Harritsch-Bahn fuhr dreimal am Tag - voll mit stinkendem Müll, abtransportiert nach Puchheim.

Es ist ein Abend voller Erinnerungen, ein Tauchbad in die Geschichte, zu dem der Verein "Kultur am Westkreuz" die beiden Gründungsmitglieder als Referenten eingeladen hat. Das Westkreuz feiert im kommenden Jahr sein 50-jähriges Jubiläum. Mit einem von der Interessenvereinigung Westkreuz organisierten Faschingsball wie anno dazumal im Februar. Mit einem Gründungsfest samt Chronik im Juli. Mit einer Ausstellung über Planung, Bau und Bezug des Viertels im August. An diesem Abend des Kulturvereins aber erfahren die Gäste etwas über die Menschen, die diesen Teil Münchens mit aufgebaut haben. Wie sie die Veränderungen erlebt haben. Und noch erleben.

Feneberg zum Beispiel kennt noch das Kriegsgefangenenlager von 1940 in der Nähe der heutigen Adventskirche: "Wir nannten es Russenlager." Er weiß, dass die Limesstraße nach der Eingemeindung Aubings im Jahr 1942 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 Adolf-Hitler-Straße hieß. Und er erinnert sich an die ehemaligen Bewohner der Dickensstraße 11-17: Dort lebten von 1950 an jüdische Nachbarn, viele von ihnen hatten Jahre in Konzentrationslagern zugebracht. Für sie gab es unterhalb der Pappeln des heutigen Kindergartens sogar eine Synagoge. Ende der Sechzigerjahre siedelten die meisten der Jüngeren nach Israel um, das Gotteshaus wurde im Zuge der Sanierung des Geländes in den Achtzigerjahren abgebrochen.

Die dritte Referentin des Abends, die frühere SPD-Stadträtin und Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann, ist erst 1966 an die Mainaustraße gezogen. Es war die Zeit, in der das Westkreuz zu einem Stadtteil wurde: "Da gab es Grün ringsherum, aufgehäufte Schuttberge, ein toller Spielplatz für unsere Kinder." Nur eines fehlte - ein Laden. Die nächsten Einkaufsmöglichkeiten befanden sich an der Limesstraße. "Und was haben wir gemacht? Wir stellten eine Baracke auf, die von den Meiers betrieben wurde." Der Spruch "Keine Feier ohne Meier" wurde dann auch zum einem geflügelten Wort in der Nachbarschaft.

Vieles, was dann kam - der Ramses, das Hochhaus, dem die Wiesen zum Opfer gefallen sind, die dichte Bebauung - ging Hirschmann rückblickend zu schnell. Ein Bürgerhaus als Begegnungsstätte gibt es nach wie vor nicht. Und trotzdem: Die heute fast 80-Jährige lebt "ausgesprochen gerne hier". Dass die Freiflächen immer weniger wurden, bedauern auch Geist und Feneberg: "Verkehrslärm statt Lerchengesang, das tut schon weh." Aber dafür gebe es jetzt eben Buslinien, Apotheken, Ärzte. Ändern könne man es ohnehin nicht. Feneberg bringt es auf den Punkt: "I bin der Martin. Und do bin i dahoam."

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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