Westend:Nächste Runde

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Weil die Stadt ihre Argumentationslinie geändert hat, verschiebt das Landgericht München I erneut die Verhandlung über das Haus mit der roten Fahne. Weiter soll es am 1. Juli gehen

Von Andrea Schlaier, Westend

Dürfen sie jetzt bleiben oder nicht? Nach wie vor ist offen, ob der Verlag "Das Freie Buch" samt Druckerei und soziokulturellem Zentrum im Haus mit der roten Fahne an der Tulbeckstraße 4 f eine Zukunft hat. Daran hat sich auch am späten Montagnachmittag nichts geändert. Zu der Zeit sollte am Landgericht München I nach zähem Rechtsstreit zwischen dem Verlag als Mieter und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG ein Urteil verkündet werden. Stattdessen teilte Richter Andreas Wiedemann der kleinen, vor seiner Bürotür versammelten Gruppe mit, dass er am 1. Juli wieder in die mündliche Verhandlung eintritt. Wesentlicher Grund dafür ist das Verhalten der Stadt, die im laufenden Verfahren schlichtweg ihre Begründung ausgetauscht hat, warum sie den Verlag per Räumungsklage raushaben will.

Damit zeigt sich neuerlich die politische Dimension der Auslegungssache rote Fahne. Seit etwa 40 Jahren weht das Banner auf dem Dach des linken Verlags mit angeschlossenen Vereinsräumlichkeiten - darunter auch der Verein zum Wiederaufbau der KPD. Als dem Mieter Ende 2016 die Räumungsklage geschickt wird, gilt das vielen als Kampfansage der Rathausmehrheit von SPD und CSU an eine politisch unliebsame Gruppe. Eigentümerin ist die Stadt, für die zunächst die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS), inzwischen abgelöst von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG, die Geschäfte führt. Der Verlag jedenfalls erhebt Widerklage.

Einen Nachweis für eine "weltanschauliche" Motivation, erklärt Richter Wiedemann bereits beim Verhandlungsauftakt 2017, sei schwer zu führen. Doch im Gegensatz zu Privateigentümern müssten die Vertreter der öffentlichen Hand "sachgerechte Erwägungen" als Kündigungsgrund angeben - andernfalls handle es sich um Willkür. Bei der Stadt liege deshalb die "sekundäre Darlegungslast". Die sei mit der einst von der MGS vorgelegten Klageschrift nicht ausreichend erbracht. In ihr war ausschließlich "sehr knapp formuliert" von "sozial verträglicher Nutzung für Wohnungszwecke" die Rede. "Erhebliche Zweifel", so der Richter, könne man bekommen, ob in diesem kleinen, verwinkelten Haus bezahlbarer Wohnraum "überhaupt umsetzbar ist". Bis zur nächsten Verhandlung fordert Wiedemann belastbare Planungen. Die folgten - nicht. Unter anderem mit dem Verweis der GWG-Anwälte darauf, dass mit dem Umbau zu gefördertem Wohnungsbau an der Stelle keine Rendite zu erzielen sei. Wiedemann schickt die Parteien mit einem Vergleichsvorschlag heim: Der Verlag darf noch fünf Jahre bleiben, die Stadt liefert konkrete Planungen.

Weil es sich hier längst um eine hochpolitische Causa handelt - auch weil die SPD-Rathaus-Mehrheit den linken Akteuren im einstigen Arbeiterviertel die Solidarität verweigert - wird dem Stadtrat selbst dieser Schritt im juristischen Prozedere zur Abstimmung vorgelegt. Gegen die Stimmen von Grüne/Rosa Liste und einem ÖDP-Vertreter wird die Räumungsklage bestätigt - mit neuer, aus dem Hut gezauberten, Begründung: "Lebensplätze für wohnungslose Frauen" sollen an der leer stehenden Westendstraße 35 und der Tulbeckstraße 4 f eingerichtet werden - obwohl hier das Sozialreferat kurz zuvor eine soziale Nutzung ausgeschlossen hatte.

Der Austausch von Gründen ist rechtlich möglich, schiebt Richter Wiedemann am Dienstag als Erklärung nach. Aber die Beklagte müsse im Sinne eines faires Verfahrens genügend Zeit haben, juristisch zu reagieren. Möglicherweise macht sie das vorab öffentlich, dort, wo sie komplette Rückendeckung hat: bei der Bürgerversammlung im eigenen Viertel. Am Donnerstag, 4. April, geht's um 19 Uhr los im Wirtshaus am Bavariapark, Theresienhöhe 15.

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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