Westend(e):Das letzte Kapitel

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Die Buchhandlung Kunst- und Textwerk an der Ligsalzstraße muss schließen. Die Betreiber können sich ihren Idealismus nicht mehr leisten. Dem Westend geht mit dem Lesecafé ein beliebter Treffpunkt verloren

Von Andrea Schlaier, Westend

Pola Etz sitzt auf dem sorgsam restaurierten Sofa und zieht die Augenbrauen ostentativ zusammen. Wie ein Mensch, der wütend ist und gleichzeitig merkt, dass sich weit und breit kein geeignetes Ziel für den eigenen Groll findet: "Ich war dem Weinen nah und wollte eine Unterschriftenaktion starten, irgendwas machen, aber es geht ja gar nicht um Politik, gegen wen sollte ich denn protestieren?" Die 38-Jährige zieht die Schultern weit hoch. Und lässt sie in der nächsten Sekunde nach unten sacken.

Noch einmal hat die Stammkundin im gemütlichen Lesecafé Platz genommen, zwischen Wiener Caféhaus-Stühlen und Vintage-Möbeln, zwischen Regalen mit modernem Antiquariat und hübschen Stellagen voller prächtig aufgemachter Kinderbücher. Dort also, wo sich die dreifache Mutter mit den raspelkurzen Haaren in den vergangenen Jahren inspirieren ließ vom "herausragend guten Angebot an Kinderbuchliteratur" und das dann auch entscheidend honorierte - durch ihren Einkauf. Doch das Kapitel endet hier. Am Samstag, 28. Oktober, schließt die Kunst- und Textwerk Buchhandlung an der Ligsalzstraße 13. "Ein Schock", sagt Pola Etz, sei das für sie und gleichzeitig "ist mir klar, wieso die zumachen: Das ist ein hartes Geschäft, und manchmal habe ich mich auch gefragt, wie sich sowas halten kann?"

Als literarisches Wohnzimmer schätzen viele im Westend das Lesecafé der Buchhandlung. (Foto: Florian Peljak)

Gar nicht mehr, entfährt es Thomas Schillo schmallippig, der ein Zimmer weiter im Verkaufsraum der Buchhandlung steht, wo kunstvolle Rollbücher und Mini-Comics noch auf bibliophile Last-Minute-Entdecker warten. Vor zehn Jahren hat der Verleger, der eine Hausmauer weiter seine Verlagsräume hat, zunächst ein Antiquariat eröffnet: "Ich bin Germanist, meine Frau ist Germanistin, wir haben daheim einfach zu viele Bücher und dann den Laden aufgemacht." Nebenan wurde später noch ein Raum frei, "damals stand hier einiges leer". Schillo erweiterte 2006 seine Stube zum Lesecafé, bald auch mit Neuausgaben. "Das hat sich ganz organisch entwickelt, und dieses Ineinandergreifen hat mir immer gefallen", erzählt der 51-Jährige. "Lesen, verkaufen, machen, alles, was mit einem Buch zu tun hat, in einem Haus zu verwirklichen." Seit er zwischen die hohen Regale gemütliche Möbel stellte und die Kaffeemaschine anwarf, kehrten die Westendler hier endgültig gerne ein: Zum Lesen, Ratschen, mit Kindern. Künstler stellen regelmäßig an der Ligsalzstraße 13 aus, neben Lesungen finden Konzerte und Vortagsabende statt. Kurzum: Die Nachbarschaft hat den Raum als tiefenentspanntes literarisches Wohnzimmer ins Herz geschlossen. Ein Ort der Begegnung.

Das ist schön, klar. Der Verleger greift sich in den grauen Fünf-Tage-Bart: "Zum Leben ist das aber zu wenig, zum Sterben zu viel." Mittlerweile hat er an einem der alten Tischchen Platz genommen, auf die jemand frische Herbstblumen in Karaffen arrangiert hat, als gehe es hier noch lange weiter. "Kleine Buchläden wie unserer tragen sich einfach nicht." Es gebe nicht den bösen Investor und auch vor Hugendubel, der nächstes Jahr im rundum erneuerten Schwanthaler-Forum auf der Theresienhöhe einzieht, fliehe man nicht schon jetzt. Dagegen hätte Pola Etz protestieren können. Doch ein Feind ist weit und breit nicht in Sicht. Der Eigentümer des Kunst- und Textwerks verweist vielmehr auf unspektakuläre Ursachen: "Die Schwankungen bei den Einnahmen sind einfach zu groß, so dass wir keinen kalkulierbaren Umsatz mehr haben." Das Gespräch über Bücher in seinen Räumen sei wichtig, "aber es zahlt halt die Miete nicht". Und das, was die Kunden kaufen, letztlich auch nicht.

Die Buchhandlung Kunst- und Textwerk an der Ligsalzstraße muss schließen. Stammkunden sind betrübt. (Foto: Florian Peljak)

"Es ist die Diskrepanz zwischen Bilanz und Resonanz." Marcus Geiß macht den Einwurf von der andere Seite des Tischchens. Er leitet den Laden als Geschäftsführer. "Wir sind hier auch etwas abgelegen, es gibt keine richtige Laufkundschaft." Christiane Fuchs komplettiert das Trio als Minijobberin im Haus und brüht gerade für alle frischen Cappuccino. "Wir haben ein besonderes Programm, bieten etwa bei Kinderbüchern eigenwillige, schräge Literatur an. Viel hängt bei uns mit Idealismus zusammen, aber da kommt halt kein Heller rüber!" Klein- und Kleinstverlage bekommen hier ein Forum, "qualitätvolle Neuerscheinungen, die wir selber lesen würden auch", sagt Thomas Schillo. Er habe auch mit vielen Kollegen geredet, die in Haidhausen eine Buchhandlung führen. "Ich glaube, dass es auch drauf ankommt, wie viel man an Ware vorhält. Wir können das nicht in so großem Umfang wie manche Kollegen dort."

Geiß erzählt vom Kompromiss, den man mit Kunden ausgehandelt habe, die Artikel auf Amazon "viel billiger als bei uns gesehen haben". Man trifft sich preislich in der Mitte. Letztlich, sagt der 41-Jährige, "sind die Konditionen für kleine Buchhandlungen einfach scheiße". Wie es mit ihm selbst nach der Schließung weitergeht, weiß er noch nicht. Der gelernte Landschaftsgärtner und studierte Komparatistiker wird noch eine Weile mit der Abwicklung zu tun haben. Christiane Fuchs, die im Westend auch Stelzen-, Puppen-, Bewegungstheater und einen Kinderzirkus anbietet, wird sich darauf konzentrieren. Und Schillo? Seinen Verlag betreibt er weiter. "Aus Schmerz über das Aus wollte ich eigentlich hier weggehen. Aber mein Vermieter ist toll und die Gegend ist toll." Also bleibt er. Das Café will er als erweiterten Raum für den dann "offenen Verlag" nutzen, "damit die Stammkunden wenigstens noch eine Tasse Cappuccino hier kriegen".

Die letzten Tage am Ladentisch: Thomas Schillo, Marcus Geiß und Christiane Fuchs (von links) schließen nach zehn Jahren das Kunst- und Textwerk. (Foto: Florian Peljak)

Pola Etz tröstet das nur bedingt. Mit einem Stapel Kinderliteratur tritt sie aus der Tür. Draußen vor dem großen Schaufenster liegt ihr Jüngstes schlafend im Kinderwagen. "Ich weiß gar nicht, wo ich jetzt meine Bücher kaufen soll - und welche." Am Freitag, ruft Marcus Geiß, ihr noch nach, "gibt's um 18.30 Uhr einen Leichentrunk." Die Isarelites spielen. Und Taschentücher werden verteilt.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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