Wassersport:Der Muff von 1972

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Fast 1000 Sportler starten bei der Euro Masters Regatta in Oberschleißheim. Pläne zur Sanierung der maroden Olympia-Anlage liegen wegen der hohen Kosten auf Eis - mit einer Petition kämpfen die Ruderer nun um ihren Erhalt

Von Julian Ignatowitsch, Oberschleißheim

Es sind Kleinigkeiten, die bei so einer Großveranstaltung kurz vorher noch erledigt werden müssen: Druckerpatrone wechseln, Startlisten ausdrucken, Wimpel und Fahnen aufhängen. Organisator Oliver Bettzieche hält einen Stapel Papier in der Hand. Er sitzt im Rennbüro an der Olympia-Regattastrecke in Oberschleißheim. Hier findet von Freitag bis Sonntag die Euro Masters Regatta statt, das größte Breitensport-Event im Rudern. Fast 1000 Sportler aus 27 Ländern sind nach München gekommen, der älteste ist 90 Jahre alt. Der Zeltplatz neben der Strecke ist ausgebucht, Camper haben Hunderte Kilometer zurückgelegt und ihre Boote auf langen Hängern mitgebracht, man trifft alte Sportkollegen und misst sich im Wettkampf. "Es wird ein großes Fest", sagt Bettzieche. "Das Flair von den Olympischen Spielen 1972 liegt in der Luft."

Er sortiert die Blätter, darauf stehen Rennzeiten und Teilnehmer. Insgesamt 229 Rennen werden im großen Wassergraben ausgetragen, gleich im ersten Lauf gehen Boote aus Russland, Lettland und der Schweiz an den Start. "Genau für solche internationalen Großveranstaltungen ist unsere Regattaanlage ja gemacht", sagt Bettzieche. Er atmet einmal tief durch. Denn er weiß: Bald könnten genau solche Wettbewerbe hier nicht mehr stattfinden.

Was in diesen Tagen an der Olympia-Regattastrecke nämlich genauso augenscheinlich werden wird wie Weltoffenheit und Sportsgeist, sind kaputte Toiletten, undichte Fenster oder nicht funktionierende Telefonleitungen. Die Anlage ist schwer sanierungsbedürftig. Seit 1972 und den Sommerspielen wurde hier nichts mehr renoviert. "Eine Sanierung ist überfällig", sagt Bettzieche. Ein Beispiel? "Wir haben hier noch Telefon-Schaltanlagen aus den Siebzigern." Schnurloses Internet? Er lacht.

Trostlose Tradition: Wo 1972 Olympia-Medaillen vergeben wurden, bröckelt der Beton und gammelt das Holz. (Foto: Claus Schunk)

Der Streitpunkt ist, wie so oft, das liebe Geld. Eine umfassende Sanierung wäre sehr teuer, schätzungsweise zwischen 20 und 40 Millionen Euro, je nach Umfang. Die Stadt München schiebt deshalb die Entscheidung, was passieren soll, vor sich her. So passiert weiter: nichts. Der Stadtrat hat im vergangenen Jahr immerhin verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgestellt. Der Beschluss aber wurde - mal wieder - auf das nächste Jahr verschoben. Die drei Vorschläge lauten, etwas vereinfacht: 1.) umfassende Sanierung (circa 40 Millionen Euro Kosten); 2.) teilweise Sanierung (circa 20 Millionen); oder 3.) gar keine Sanierung, sondern Umgestaltung der Anlage zu einem Freizeit-Wasser- oder Naturschutzpark (praktisch null Euro). Für eine Veranstaltung wie die Euro Masters Regatta würde jede Lösung, die von der umfassenden Sanierung abweicht, das Aus bedeuten. Denn dann würden in München überhaupt keine Wassersport-Wettbewerbe mehr stattfinden. "Die zweite und dritte Alternative schließen die Ausrichtung von nationalen und internationalen Regatten explizit aus", erklärt Bettzieche.

Das würde bedeuten: In München steht dann eine Regattastrecke ohne Regatta. Bettzieche hat deshalb eine Petition ins Leben gerufen, um Aufmerksamkeit und Unterstützung zu generieren. Fast 10 000 Unterschriften hat er in zwei Monaten gesammelt. Mehr als ein "symbolisches Zeichen an die Politik" ist das aber nicht, die Petition hat keine bindende Wirkung.

Der größte Münchner Ruderverein, die Rudergesellschaft München 1972 (RGM), ist genauso besorgt wie der Regatta-Veranstalter. Fast der ganze Verein hat die Petition unterschrieben. Sportvorstand Thomas Schröpfer ist nahezu jeden Tag draußen in Oberschleißheim, rudert dort, gibt Training oder trifft sich mit Vereinsfreunden. Er kann das Zögern der Politiker überhaupt nicht verstehen. Die Anlage als Freizeitpark? "Das ist, als würde man in der Allianz Arena Blumen pflanzen", sagt er. "Es muss endlich etwas passieren." Wenn eine Sanierung ausbleibt, stehen die RGM und andere Vereine ebenfalls vor dem Aus, erläutert Schröpfer. "Dann haben 1500 Wassersportler in München kein Zuhause mehr." Alternativen auf den umliegenden Binnengewässern sind rar. Im weiteren Sinn sind 10 000 Ruderer in ganz Bayern betroffen. Die Regattastrecke ist die einzige künstliche Anlage in Süddeutschland, der einzige Platz für Ruder-Großevents.

Wassersportler aus ganz Süddeutschland hoffen auf eine Sanierung der Anlage, wo vergangene Woche die bayerischen Meisterschaften stattfanden. (Foto: Claus Schunk)

Die Zukunft der Regattastrecke ist in diesen Tagen also das Hauptthema. Politiker und Funktionäre wollen sich am Rande der Euro Masters besprechen. In ihrem Grußwort zur Regatta schreibt Christine Strobl (SPD), die für Sport zuständige Dritte Bürgermeisterin der Stadt München: "Eine besondere Veranstaltung braucht auch einen besonderen Austragungsort (...). Um auch weiterhin eine Sportinfrastruktur für Rudern und Kanu in der Landeshauptstadt anbieten zu können, wird die Olympia-Regattaanlage saniert werden." Nicht nur die Münchner Ruderer werden diese Zeilen ganz genau lesen.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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