Warten auf ein Spenderorgan:Auf Leben und Tod

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Jedes Jahr sterben in Deutschland 1300 Menschen, weil sie vergeblich auf ein Spenderorgan warten. Auch im Klinikum Großhadern stehen Patienten auf der Warteliste für eine Transplantation, die ihnen das Leben retten kann. Ein Besuch auf der Intensivstation.

Beate Wild

Hinter dem Bett von Thomas B. blinkt und piepst es. Unzählige elektronische Geräte und Maschinen stehen an der Wand und arbeiten eifrig vor sich hin. Sie alle sind mit Kabeln und Schläuchen mit Thomas B. verbunden. Dass sie so reibungslos funktionieren ist lebenswichtig, denn sie kontrollieren die Körperfunktionen des Patienten.

Bis es zu der lebensrettenden Organspende kommt, müssen Patienten oft Jahre warten - wenn es dann nicht schon zu spät ist. (Symbolbild) (Foto: Stephan Rumpf)

Stimmt irgendetwas nicht, ertönt ein lauter Warnton und eine Krankenschwester eilt herbei. Aufstehen kann Thomas B. wegen der ganzen Verkabelung nicht. Nicht einmal, um zur Toilette zu gehen. Der Aufenthalt auf der Intensivstation ist alles andere als angenehm, doch für den 49-Jährigen aus Kaufbeuren im Allgäu gibt es keine Alternative.

Seit 15. Januar 2012 steht Thomas B. auf der HU-Liste für Organtransplantationen. HU bedeutet "High Urgency", also sehr dringlich. Er wartet im Klinikum Großhadern auf ein neues Herz. Auf die HU-Liste kommt man nur, wenn man ohne Organspende nicht mehr lange weiterleben kann.

Thomas B. arbeitete früher als Dachdecker und Spengler. "Jeden Tag hab ich 15 bis 17 Stunden geschuftet", erzählt er. Krank war er eigentlich nie. Auch der Herzinfarkt, der ihn irgendwann ereilte, blieb zunächst unbemerkt. Erst als er 2006 keine Luft mehr bekam und ins Krankenhaus eingeliefert wurde, entdeckte man das Dilemma. Der unentdeckte Herzinfarkt hatte das Herz schon derart geschwächt, dass es kaum mehr von alleine arbeitete.

Erst bekam Thomas B. einen Defibrillator eingesetzt. Als dieser 2010 nicht mehr ausreichte zusätzlich einen Herzschrittmacher. Doch seit Sommer 2011 sind die Probleme mit dem Herzen so groß, dass der 49-Jährige nicht mehr leben kann wie bisher. "Da war dann klar, dass ich ein neues Herz brauche", sagt er. "Ich kann keine 20 Meter mehr gehen, so schlimm ist es schon." Nichts kann mehr helfen - außer ein Spenderherz.

Als die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten war, stand Thomas B. schon auf der sogenannten T-Liste. Das ist die Warteliste für nicht so akute Fälle. T steht für "transplantable" und bedeutet so viel wie "Transplantation möglich". Wer auf der T-Liste steht, muss - wenn er überhaupt für eine Spende in Frage kommt - viele Jahre warten. Nur fünf bis zehn Prozent der gespendeten Herzen gehen an Wartende auf der T-Liste.

In Deutschland warten derzeit 12.000 Patienten auf ein Organ. Dagegen steht die Zahl von nur 1200 bundesweiten Spendern. Organe sind knapp. Noch dazu ist die Zahl der Organspenden 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 7,4 Prozent gesunken. Die Knappheit hat tragische Folgen: Jeden Tag sterben mindestens drei Menschen, weil sie vergeblich auf ein neues Herz, eine Lunge, eine Niere oder eine Leber gewartet haben.

Im europäischen Vergleich steht Deutschland schlecht da. In Spanien beispielsweise werden mehr als doppelt so viele Organe gespendet als bei uns. Dort kommen 34,4 Spender auf eine Million Einwohner, hierzulande sind es gerade mal 14,9. Während die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) die Spenden bundesweit koordiniert, ist die niederländische Stiftung Eurotransplant verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in sieben europäischen Ländern. Da anderswo mehr gespendet wird, als bei uns, ist Deutschland Organ-Importland. Das heißt, es werden mehr Organe importiert als exportiert.

Dass sich beim Transplantationsgesetz deshalb dringend etwas ändern muss, fordern nicht nur die Ärzte, sondern hat auch der Bundestag erkannt. Bis zum Sommer soll eine neue Regelung verabschiedet werden, um die Zahl der Organspender zu erhöhen. Eine mögliche Lösung wäre, dass jeder Deutsche wenigstens einmal im Leben gefragt wird, ob er bereit wäre, im Falle seines Todes seine Organe zu spenden. Die Befragung könnte über die Krankenkassen passieren oder bei der Beantragung des Personalausweises.

Diese Variante geht Bruno Meiser aber noch nicht weit genug. Er ist Leiter des Transplantationszentrums München an der LMU in Großhadern und Präsident der Organisation Eurotransplant. Immer wieder muss der Professor erleben, dass Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten. Deshalb plädiert er für eine erweiterte Widerspruchslösung, die auch der Nationale Ethikrat vorgeschlagen hat: Wer zu Lebzeiten keinen Widerspruch gegen eine Organentnahme nach seinem Tod eingelegt hat, dessen Einverständnis gilt als angenommen. Die Angehörigen könnten hier zwar immer noch ein Veto einlegen, doch Meiser glaubt, dass mit dieser Regelung die Zahl der gespendeten Organe erheblich steigen würde.

"Aufklärung alleine hilft nicht", sagt Meiser. "In Deutschland sind schon 650 Millionen Organspendeausweise verteilt worden, doch die meisten landen im Papierkorb, weil sich die Menschen zu Lebzeiten eben nicht gerne mit dem eigenen Tod auseinandersetzen."

Im Klinikum Großhadern fanden im vergangenen Jahr 241 Organtransplantationen statt - darunter 31 Herzen, 61 Nieren, 41 Lebern und 58 Lungen. Mit einem neuen Transplantationsgesetz könnten es viel mehr sein. Laut Umfrage stehen 80 Prozent der Deutschen einer Organspende positiv gegenüber. Einen Organspendeausweis besitzen nur etwa 20 Prozent.

Außerdem fordert Meiser, dass die Krankenhäuser bei der Identifizierung von Spendern besser unterstützt werden, denn offenbar versäumen es viele Kliniken potentielle Organspender zu melden. Drei Dinge sollten deshalb eingeführt werden, ginge es nach Meiser: Die Einführung der Hirntod-Diagnostik in jedem Krankenhaus, die Installierung eines Transplantationsbeauftragten, der die Angehörigen des Spenders mit Einfühlungsvermögen betreut, und eine angemessene Vergütung für die Kliniken. "Bisher erhalten sie nur 3800 Euro pro Spender, das deckt aber die Kosten nicht", sagt der Professor. Auch die Beauftragten sollten für ihre schwierige Aufgabe etwas mehr Geld bekommen.

Finanzielle Anreize müsse man schaffen, sonst hätten die Krankenhäuser kein gesteigertes Interesse mögliche Spender zu identifizieren. Es könnte viel mehr Spenderorgane geben, wenn das Gesundheitssystem bereit wäre, mehr zu investieren.

Für Hans B. hat am 21.9.2005 ein neues Leben begonnen. Um Mitternacht wurde er geweckt mit der Botschaft, man hab ein passendes Herz für ihn gefunden - nach einem halben Jahr Wartezeit im Krankenhaus. Ein paar Stunden später lag er im Klinikum Großhadern auf dem OP-Tisch. Irgendwo war ein junger Mensch ums Leben gekommen. Dieser Tod rettete Hans B. das Leben. Mehr weiß der heute 71-Jährige nicht, auch nicht ob es ein Spender oder eine Spenderin war.

"Ich fühle große Dankbarkeit und großes Glück", sagt er. An diesem Tag ist Hans B. wieder einmal im Klinikum Großhadern - für seinen jährlichen Check. "Alles in bester Ordnung, mir geht's großartig", sagt er. Er ist so fit, dass er heutzutage sogar wieder Ski fahren kann. Nur zweimal täglich muss er Medikamente nehmen - ein Leben lang -, damit sein Körper das neue Herz nicht abstößt.

Dabei ging es Hans B. lange Zeit sehr schlecht. 1997 fingen die Herzprobleme an, er hatte massive Atemprobleme. Man diagnostizierte bei ihm eine Herzmuskelentzündung, wahrscheinlich hatte er eine Grippe nicht richtig auskuriert. Es folgten Unmengen an Medikamenten, ein Herzschrittmacher, später ein zusätzlich implantierter Defibrillator und unzählige Krankenhausaufenthalte. Doch im Frühjahr 2005 waren die Fieberschübe dann ganz schlimm. Durch Keime hatte er sich auch noch eine Infektion eingefangen. Er musste mit Antibiotika behandelt werden und durfte das Krankenhaus nicht mehr verlassen. Erst in diesem Zustand erhielt Hans B. einen Platz auf der dringlichen HU-Liste, vorher war er vergeblich auf der T gelistet.

Es sollte ein halbes Jahr dauern, bis ein Herz für ihn gefunden wurde. Und es war höchste Zeit. Zum Zeitpunkt der Operation war der sportliche Mann abgemagert auf 45 Kilogramm. "Kaum war die OP vorbei, ging es mir schlagartig gut", berichtet der ehemalige Handwerker aus Fürstenfeldbruck. "Es war ein Gefühl, als hätte jemand das Fenster geöffnet und ich bekomme endlich frische Luft."

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