Vulkanasche: Flughafen München:Wie im Pfadfinderlager

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Ausnahmezustand im Erdinger Moos: Gestrichene Flüge, gestrandete Passagiere, Feldbetten in der Wartehallen - der Münchner Flughafen steht weiter still.

D. Hutter u. S. Wimmer

Am Sonntagnachmittag war es klar: Der Münchner Flughafen bleibt auch am heutigen Montag wegen der Aschewolke geschlossen. Seit drei Tagen nun herrscht im Erdinger Moos der Ausnahmezustand. Teile des Flughafens sind völlig leergefegt, in anderen Bereichen campieren gestrandete Fluggäste wie im Pfadfinderlager. Am Hauptbahnhof hingegen hat die Bahn an Personal und Zügen "alles im Einsatz, was machbar ist", so eine Sprecherin, um die Reisenden per Schiene ihrem Reiseziel zumindest ein bisschen näher zu bringen.

Samstagnachmittag, Erdinger Moos. Plötzlich brummt es doch am Himmel. Eine einmotorige Propellermaschine schwebt über den Flughafen und seine verwaisten Startbahnen hinweg. Der Pilot ist in geringer Höhe und "auf Sicht" unterwegs, dann gilt das Flugverbot nicht. Die Aussicht von oben muss phantastisch sein: auf eine buntlackierte Armada von Flugzeugen, die wie gestrandete Wale wirken. Überall stehen Großraummaschinen der Lufthansa herum, auch einige seltene Exemplare, dazu ein Jumbo der Singapore Airlines, drei Etihad-Jets und als ungewöhnlichster Gast eine Maschine der afghanischen Safi Airways. Es hat viele unfreiwillig nach München verschlagen an jenem Freitag, als "MUC" kurzzeitig der einzige Flughafen Deutschlands war.

Yu Zhang lächelt und nimmt den I-Pod aus dem Ohr. Die 27-jährige Lufthansa-Stewardess sitzt in der S-Bahn, den Koffer neben sich und gibt sofort Auskunft. Ja, die "company" habe angerufen, der Flug sei um zwei Stunden vorverlegt worden. Take off um 19.50 Uhr, Ziel Shanghai. Yu Zhang war vermutlich eine der letzten Passagiere, die am Freitagabend München noch durch die Luft verlassen konnten. Seitdem braucht der, der reisen will, viel Geduld. Das Ehepaar aus Südtirol beispielsweise, das am Flughafen steht und auf die Seychellen fliegen wollte. Den Freunden haben sie den Mund wässrig gemacht mit ihrem bevorstehenden Traumurlaub. "Jetzt können wir uns was anhören, wenn wir heimkommen", grinst der Mann. Oliver Hausmann sieht nicht entspannt aus. Der Familienvater ist mit vier Kindern, "alle hungrig, durstig und leidend", aus Bombay Freitagabend in München gestrandet. Jetzt steht er bei Karin Huhmann, Fahrservice-Chefin, und lauscht ihren Worten: Shuttle für Air Berlin, alle Busse, Vans, Taxis, die greifbar sind, werden auf Kosten der Airline angemietet, um die Reisenden nach Hause zu fahren. Sogar nach Zürich, wo Hausmann wohnt.

Am Samstagnachmittag nutzt die Lufthansa die Gelegenheit, "auf Sicht" zumindest ein paar Flugzeuge an die Stelle zu bringen, wo sie bei einer Wiederaufnahme des Flugbetriebs am günstigsten stehen. Nach einem ersten Probeflug von München nach Frankfurt, den die Piloten in geringer Höhe, ohne Kontrolle durch die Flugsicherung und ohne Passagiere absolvierten, haben die Techniker keinerlei Vulkanschäden an der Außenhaut oder den Triebwerken entdeckt. Und so heben im Laufe des Nachmittags noch weitere neun Großraummaschinen ab und rauschen durch den leeren Luftraum gen Rhein-Main.

Die zum Warten verdammten Passagiere haben es sich in den Hallen des Flughafens so bequem wie möglich gemacht. Vor den Check-In-Schaltern in Terminal 2 stehen Feldbetten, eine Gruppe von Thailändern ruht sich aus, umringt von Gepäckbergen. Sogar ein Zelt steht auf dem glatten Steinboden. 700 Passagiere haben die Nacht hier verbracht: in Feldbetten, auf den Wartebänken oder im Café. Die sonst für den Israelverkehr reservierte Hochsicherheitshalle F hat sich in einen Schlafsaal verwandelt. Auf die Abflugtafeln mit ihren penetranten "annulliert"-Anzeigen blickt niemand mehr, nur einige Fotos werden gemacht: die Liebste beim Warten an der Hotelreservierung, im Hintergrund die Liste der gestrichenen Flüge. Ungewöhnliche Situationen muss man festhalten.

"Die ganze Erholung ist beim Teufel"

"Schon merkwürdig, es ist extrem ruhig hier", sagt Ingo Anspach von der Flughafen München GmbH. Seit Inbetriebnahme des Flughafens im Erdinger Moos 1992 habe es zwar "immer wieder mal Flugannullierungen wegen Schneetreibens gegeben, aber so etwas habe ich noch nie erlebt". In der Nacht auf Sonntag, so berichtet er, hätten erneut rund 200 Fluggäste im Terminal 2 geschlafen. Man habe fast jeden Passagier in Hotels unterbringen können, "aber ein paar, die den Transitbereich nicht verlassen dürfen, mussten hier bleiben".

"Die ganze Erholung ist beim Teufel". Vera Boge lächelt trotzdem noch. Sie sitzt im Service-Center am Hauptbahnhof und will einfach nur "irgendwie in Richtung Süden", der Heimat Klagenfurt entgegen. Am Samstag war ihr Hamburg-Urlaub zu Ende, der Flug storniert, ein ICE nur bis München zu erwischen. Jetzt hat sie keinen Anschlusszug und sucht eine Übernachtungsmöglichkeit.

"In Wellen", so sagt eine Bahn-Mitarbeiterin, träfen die Passagiere vom Flughafen am Hauptbahnhof ein. Wer eine Bordkarte für einen Inlandsflug in der Tasche hat, kann direkt den Zug benutzen.

Dies mussten zu ihrem Leidwesen auch die Spieler und Betreuer des Fußballbundesligisten Hannover 96 tun, die am Freitag zur Partie gegen den FC Bayern fuhren. Schon in Hannover war der Zug Richtung München hoffnungslos überfüllt, die Mitglieder des Teams mussten stundenlang stehen. Trainer Mirko Slomka war darüber so aufgebracht, dass er das Zugpersonal aufforderte, endlich für freie Sitzplätze zu sorgen. Dass seine Mannschaft auch aus diesem Grund in München gnadenlos unterging, ist allerdings nur ein vages Gerücht.

© SZ vom 19.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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