Vorschlaghammer:Orte der Wirklichkeit

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In München bgeinnt das Underdox-Filmfestival

Kolumne von Fritz Göttler

Knittelfeld ist eine kleine Stadt in der Steiermark, mit einer typischen Atmosphäre und einer nicht ganz so typischen Bevölkerung. Im Jahr 1977 siedelte sich eine Familie dort an und "konfrontierte Knittelfeld mit einem für österreichische Kleinstädte sehr unüblichen Ausmaß an Unglück, Totschlag und Verbrechen". Sagt Gerhard Friedl, der österreichische Filmemacher, der 2009 gestorben ist und in seinen Filmen die Realität zeigt zusammen mit den Strukturen, die sie prägen. In seinen Filmen geht es um das Nahe und das Ferne, das Vertraute und das Unbekannte, die Zuversicht und den Schrecken - und wie diese an sich so eindeutigen Gegensätze im Kino auf einmal völlig unsicher werden. Friedls Knittelfeld - Stadt ohne Geschichte läuft am Sonntag um 17 Uhr im Werkstattkino im Rahmen des Underdox Filmfestivals, davor liest Matthias Hirth aus dem Buch über Gerhard Friedl, das Volker Pantenburg voriges Jahr herausgegeben hat.

Das Nahe und das Ferne, das war auch ganz am Anfang der Kinogeschichte entscheidend, als die Brüder Lumière ihre Kameraleute in alle Welt schickten, um die Landschaften und Menschen dort zu filmen. Das Kino, das zeigt uns Underdox jedes Jahr, geht von Orten aus, ihrer Faszination und Zwiespältigkeit, nicht von Geschichten oder Plots. Ute Adamczewski filmt in Zustand und Gelände (Sonntag, 11 Uhr, Theatiner) die "wilden" Konzentrationslager, die von 1933 an im Osten Deutschlands errichtet wurden, zu den durchaus beschaulichen Ortsansichten hört man Auszüge aus bürokratischen Berichten, in denen es um Strafen, Folter, Schikane geht. Im KZ Buchenwald wurde Robert Anthelme interniert, der Mann von Marguerite Duras, über seine Erfahrungen dort schrieb er das Buch "Das Menschengeschlecht".

Darüber hat Stefan Hayn Pain, Vengeance? Brot, Rache? gemacht, der am Samstag im Werkstattkino zu sehen ist. Nah und fern, das ist in den Tagen der Abstandsgebote im Kino besonders akut und aktuell. Das Underdox Festival, das noch bis zum Mittwoch in Werkstattkino, Filmmuseum und Theatiner geht, bietet besondere Nähe mit einer Lecture von Peter Tscherkessky aus Wien, der seit vielen Jahren Filme macht, aber nicht mit der Kamera, sondern indem er Bilder aus klassischen Filmen in einem Kontaktverfahren kopiert und verfremdet. Händisch, wie er selbst uns versichert.

© SZ vom 10.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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