Vertragsverlängerung:Kritik an NS-Dokuzentrum-Chef Nerdinger wächst

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Ein Mann, der auch mal rüde werden kann: Winfried Nerdinger, der Chef des NS-Dokuzentrums an der Brienner Straße. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Die Stadt München will den Vertrag von Winfried Nerdinger als Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums um zwei Jahre verlängern.
  • Doch von verschiedenen Seiten kommt Kritik am rüden Umgangston Nerdingers.
  • Nicht nur Wissenschaftler haben sich beklagt. Auch eine Münchnerin, die ein Exponat aus ihrer Familie zur Verfügung gestellt hat, erhebt Vorwürfe.

Von Jakob Wetzel

An diesem Mittwoch will die Stadt München den Vertrag von Winfried Nerdinger als Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums um zwei weitere Jahre verlängern; unmittelbar vor der Debatte im Stadtrat häufen sich nun jedoch die Beschwerden über seine Amtsführung. Dabei sind es nicht länger nur beteiligte Wissenschaftler, die sich über einen rüden Umgangston beklagen, sondern auch eine Angehörige eines Verfolgten, dessen Schicksal in dem weißen Würfel an der Brienner Straße dokumentiert wird.

So berichtet die Münchnerin davon, in der Ausstellung sei eine Fotografie ihres Vaters gegen ihren erklärten Willen durch ein Bild von dessen nationalsozialistischer Kennkarte ausgetauscht worden. Dadurch werde er nicht mehr als Bürger, sondern nur noch als Opfer wahrgenommen. Auf ihren Einspruch antwortete Nerdinger, das ursprünglich gewählte Foto sei inhaltlich unpassend, und sie möge das neue akzeptieren oder ein anderes liefern; "im schlimmsten Fall" müsse man sonst darauf verzichten, den Vater in der Ausstellung überhaupt zu zeigen.

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Die beschimpften Wissenschaftler wollen sich nicht äußern

Nachdem die Frau ihrem Ärger bei der Eröffnung des Zentrums am 30. April 2015 öffentlich Luft gemacht hatte, habe Nerdinger noch dazu einen an der Ausstellung beteiligten Wissenschaftler beschuldigt, zu intrigieren und die Kritik an die Presse durchgestochen zu haben. Sie wolle nun betonen, dass sie es war, die damals mit der Journalistin gesprochen habe, und niemand sonst, sagt die Münchnerin.

Zudem kommen nun immer mehr Dokumente zum Vorschein, in denen Nerdinger mehrere am Dokuzentrum beteiligte Wissenschaftler in Teilen wüst angeht, ihnen als Replik auf sachliche Kritik am Konzept Unfähigkeit vorhält oder auch Intrigen unterstellt. Öffentlich möchten sich die so beschimpften Wissenschaftler nicht äußern, und aus den Schriftwechseln lässt sich nicht direkt zitieren, um ihnen nicht erneut zu schaden. Doch klar ist: Hinter den Kulissen des städtischen Prestige-Projektes NS-Dokumentationszentrum herrschte bisweilen ein äußerst grober Umgangston. Winfried Nerdinger möchte auf Anfrage weder zu den Vorwürfen noch zur bevorstehenden Vertragsverlängerung Stellung nehmen.

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Die Anerkennung für Nerdinger überwiegt

Dass es Streit gab, blieb indes auch im Stadtrat nicht verborgen; dort aber heißt es, die Anerkennung für Nerdinger überwiege. Schließlich habe er der Stadt München nach dem Abgang seiner Vorgängerin Irmtrud Wojak 2011 eindrucksvoll aus einer schlimmen Lage geholfen, binnen kurzer Zeit mit anderen Historikern ein Ausstellungskonzept erarbeitet und das Haus erfolgreich eröffnet. Zudem habe fachlich niemand etwas an dem Gründungsdirektor auszusetzen - und die Stadt brauche den 71-jährigen Architekturhistoriker im Amt, um in Ruhe einen würdigen Nachfolger zu finden.

Bedenken, die Befristung des Vertrags bis 2018 könne nach der bereits zweiten Verlängerung juristisch nicht zu halten sein - nach gängiger Rechtsprechung hätte eine Klage auf Entfristung in diesem Fall wohl Erfolg - sind im Stadtrat nicht verbreitet. Niemand würde davon ausgehen, heißt es, dass Nerdinger seine Karriere einmal mit einer Klage gegen die Stadt München beenden wolle.

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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