Versteigerung:Mit den Mitteln des Gesetzes

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Spitzwegs Justitia erzielt keinen Rekord. Die Auktion macht anderes einzig: Trotz Corona hat sie Publikum

Von Susanne Hermanski

Das Verhältnis dieses Gemäldes zu den Mühlen der Justiz ist wahrlich speziell. Das liegt nicht nur am Titel "Justitia", den Carl Spitzweg ihm gegeben hat. Der Münchner Maler zeigt die Göttin darauf mit verrutschter Augenbinde, einer Waagschale zu wenig, auf angeknackstem Sockel und mit pikant zugespitzter Oberweite. So hing sie, einst bestimmt fürs "Führermuseum" in Linz, jahrzehntelang als NS-Raubkunst in der Villa Hammerschmidt, dem Sitz des Bundespräsidenten. Bevor das Bild dann 2006 abgenommen wurde und erst 2019 nach juristischem Ringen an die Erben des jüdischen Kaufmanns Leo Bendel restituiert worden ist.

Anwälte mischten auch auf der jüngsten Etappe mit, die diese provokante Allegorie der Gerechtigkeit am Mittwochabend nahm. Denn wegen der Corona-Krise sollte das Bild zunächst nicht vor Publikum versteigert werden können, sondern lediglich online. Das wollte Katrin Stoll, Chefin des Auktionshauses Neumeister, ungern hinnehmen. Weiß sie doch, "wie wichtig bei Kunstauktionen immer noch das Live-Erlebnis und die Emotionen sind". Und so engagierte Stoll, die stets für die Rechte des Kunsthandels kämpft, aber auch dessen moralische Verpflichtung anmahnt, einen bekannten Wirtschaftsanwalt. Ihr Ziel: nichts weniger als "die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung" außer Vollzug zu setzen.

Im Zuge der Verhandlungen darüber gestattete das in München zuständige Kreisverwaltungsreferat (KVR) die Live-Auktion dann doch. Einen Tag vor der Auktion. Die Begründung des KVR: Versteigerungen seien nicht den "verbotenen Tätigkeiten zuzuordnen", sondern "eine besondere Form des Einzelhandels, der nach der neuesten Rechtslage unter bestimmten Voraussetzungen wieder zugelassen ist." Stoll sieht darin "eine Entscheidung, die richtungsweisend sein könnte". Mit anderen Worten: Wer weiß, was diese Kategorisierung in Zukunft noch bringen mag. Spontan bedeutete sie eines: Ein knappes Dutzend Bieter, das leibhaftig im Auktionshaus saß - auf zwei Meter Distanz, mit Mundschutz bewehrt. Als Katrin Stolls Hammer hinter der Plexiglas -Schutzwand für das Los 400 hinuntersaust, wechselt die Justitia für fast eine Dreiviertel Million, exakt 698 500 Euro, ihren Besitzer. Das ist kein Rekordergebnis für einen Spitzweg. Der bislang teuerste wurde ebenfalls bei Neumeister versteigert. Vor 20 Jahren, von Katrin Stolls Vater, für damals 2,4 Millionen Deutsche Mark. Zu Zeiten also, als die Münchner Schule sehr hoch im Kurs der Sammler, und die Euro-Währungsreform erst noch bevor stand.

Eine ähnliche Größenordnung wie sie jetzt für die Justitia erzielt wurde, erreichte am Auktionsmarkt zuletzt vor 15 Jahren Spitzwegs "Friede im Lande". Der brachte, ebenfalls bei Neumeister, 700 000 Euro. Nach Justitia kamen sechs weitere, kleinere Spitzweg-Arbeiten unter den Hammer. Auch Werke aus der Privatsammlung des ehemaligen Münchner Bürgermeisters Wilhelm von Borscht (1857 - 1943), die lange als Dauerleihgabe im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg ausgestellt waren. Sie erbrachten noch einmal 300 000 Euro. Und als Los 404, die Skizze "Kircheninneres mit Prozession" aufgerufen war, ging es wahrlich emotional zur Sache. Viel bewegter sogar als bei der teureren und historisch derart vorbelasteten Justitia; die hatte sich flott ein Bieter via Telefon gesichert. Um die "Prozession" aber lieferte sich ein Mann im Saal eine erbitterte Schlacht mit einem unsichtbaren Gegner aus dem Netz. Letzterer allerdings machte das Rennen. Und zahlte für die qualitätvolle Skizze nach dem Schätzpreis von 10 000 bis 15 000 Euro stolze 63 500 Euro brutto.

© SZ vom 08.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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