Urbanes Grün:Blühende Stadtlandschaften

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Marianne Wittmanns Begeisterung für Blumen ist aus ihrer Etagenwohnung längst in den Innenhof und hinaus auf die Westendstraße gewuchert - zur Freude der Nachbarn

Von Jana Heigl, Schwanthalerhöhe

Pünktlich um 7.30 Uhr steckt Marianne Wittmann ihren Kopf aus dem Fenster mit den leuchtend roten Geranien. Von dort hat sie einen guten Blick auf ihr Gärtchen am Straßenrand. Seit drei Jahren bepflanzt sie es liebevoll. "Im Frühjahr sehe ich jeden Zweig und jedes Blatt", sagt Wittmann. Ihr "Gärtchen" ist eigentlich eine Baumscheibe, also jenes kleine Beet, das einen Straßenbaum umgibt. Während rund um die anderen Bäume an der Westendstraße höchstens Unkraut wächst, gedeihen in Wittmanns kleinem Garten Rosen, Phlox und Fette Henne.

Marianne Wittmann entdeckte ihren grünen Daumen beim Arbeitsdienst im Krieg. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Rosen hat sie vom Friedhof mitgenommen, als sie das Grab ihres verstorbenen Mannes besuchte. Vermeintlich vertrocknet lagen sie im Abfall - in Wittmanns Garten blühen sie wieder auf. Den alten Hinterhof ihres Wohnhauses säumen Oleander und Laternenblumen; die meisten Pflänzchen nimmt sie aus dem Garten ihres Sohnes mit, pflückt kleine Setzlinge am Wegesrand oder fischt sie aus dem Pflanzenabfall am Westfriedhof. Dementsprechend bunt ist ihr Bestand, sogar eine kleine Eibe hat sie in einem Topf angepflanzt.

Eine hölzerne Barriere schützt ihr kleines Beet am Baum vor Autos und Hunden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Nachbarn freuen sich über die Blumenpracht und helfen mit, dass sie erhalten bleibt: Um die Hunde von der Baumscheibe fernzuhalten, stellt ein benachbarter Architekt seine Motorräder direkt vor das Beet auf den Gehsteig. Damit die parkenden Autos die Rosen nicht immer platt drücken, hat er außerdem einen kleinen Holzzaun errichtet. "Die freuen sich", sagt Wittmann. "Jeder sagt, hast du's schön!"

Obwohl Marianne Wittmann schon 90 Jahre alt ist, macht ihr die Gartenarbeit nichts aus. "Die hält mich jung", verrät sie mit einem Augenzwinkern. Sie jätet, zupft die vertrockneten Blüten von den Rosen und streut Blaukorn in ihr Beet: alles kein Problem. Einzig das Gießen ist manchmal etwas schwierig. Mit ihrer kleinen grünen Gießkanne kommt sie bei den unzähligen Pflanzen nicht weit. "Sie kommt dann immer in meinen Laden und füllt auf", erzählt Nachbarin Julia Killet, die ihr Büro direkt neben Wittmanns Wohnhaus hat. Doch auch beim Blumengießen helfen die Nachbarn aus: Die Mitglieder des Motorrad-Clubs Temple Choppers, der in Wittmanns Hinterhof sein Quartier aufgeschlagen hat, füllen ihr manchmal mit dem Gartenschlauch eine Tonne mit Wasser auf, aus der sie dann mit der Kanne schöpfen kann.

Mauerblümchen gibt's hier nicht: Bei der 90-Jährigen gedeihen auch Blumen, die andere schon weggeworfen haben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Leidenschaft fürs Garteln entdeckte Marianne Wittmann als junge Frau beim Arbeitsdienst in Erding. Während des Zweiten Weltkriegs half sie in einem Hotel aus, den Garten herzurichten. Während die anderen Mädchen bügeln mussten, kümmerte sie sich gemeinsam mit einer älteren Dame um die Blumen. Heute geht ihre Liebe sogar so weit, dass sie schon zu den Pflanzen an den S-Bahn-Dämmen hinaufgestiegen ist, um dort die prächtig blühenden Goldruten mitzunehmen. "Der S-Bahn-Fahrer hat mich richtig laut angehupt", erinnert sie sich glucksend und nimmt sich vor, in Zukunft vernünftig zu sein.

Lange Zeit fuhr Marianne Wittmann jede Woche mit zwei Freundinnen zum Baumarkt, um dort durch die Blumenabteilung zu bummeln und einen Cappuccino zu trinken. Am Wochenende besucht sie manchmal ihren Sohn in Pfaffenhofen. Dort hat sie in dessen Garten eine eigene Ecke, in der sie sich austoben kann; bei Marianne Wittmann dreht sich eben einfach alles um die geliebten Pflanzen. In München hat sie mittlerweile weder im Hinterhof noch auf der Baumscheibe Platz für Neuzugänge. Die Beete sind voll. "Jetzt fang ich schon ein wenig zu spinnen an", sagt sie und ihre Augen blitzen schelmisch. "Weil die Männer die Blumen so schön finden."

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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