Umland:Handlungsbedarf

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Der Mangel an günstigen Wohnungen beschäftigt inzwischen viele Gemeinden

Streit ums Feld

Eigentlich wollte man in Zorneding diesmal alles richtig machen. Die Gemeinde, die den Bau bezahlbarer Wohnungen viel zu lang vernachlässigt hatte, kündigte eine große Gegenmaßnahme an: ein Areal mit 200 Wohnungen für 500 Zornedinger. "Ein Vorzeigeprojekt", frohlockte man im Rathaus des Ortes, in dem neun von zehn Wohngebäuden Ein- oder Zweifamilienhäuser sind. Aber die Gegenmaßnahme, mit der man nach dem Prinzip der sozialgerechten Bodennutzung vergünstigten Wohnraum schaffen will, erhält seitdem vor allem Gegenwind: Zu hoch, zu dicht, zu unterversorgt, monieren die Anwohner, die aus ihrer Doppelhaussiedlung noch auf ein unbebautes Feld schauen - und mit einem Bürgerbegehren drohen, sollten ihre Gegenvorschläge im Gemeinderat keinen Anklang finden. Dort sieht man die von den Anwohnern gewünschten Maßnahmen vor allem als überflüssig und vermutet vielmehr eine "Not in my backyard"-Mentalität, wie sie der Bürgermeister zuletzt öffentlich anprangerte. Die entrüsteten Anwohner sehen sich "als Wohnungsverhinderer gebrandmarkt" und betonen in einem offenem Brief, dass man sich einen Dialog auf Augenhöhe und echte Bürgerbeteiligung wünsche.

Leere Bauruinen

Der Wohnraum ist auch im Kreis Dachau knapp, dem Landkreis mit dem größten Bevölkerungswachstum im Ballungsraum München. Dennoch dümpeln in der 6000-Einwohner-Gemeinde Erdweg zahlreiche unbewohnte Bauruinen vor sich hin, wertvoller Wohnraum, den niemand nutzen kann. Die verwahrlosten Grundstücke geben ein erbärmliches Bild ab. Häuser mit heruntergelassenen Rollos und bröckelndem Putz. In völlig verwucherten Gärten stapeln sich Autoreifen und Eisenabfälle. Und am Eingang der Ortschaft stehen beidseitig zwei halb fertige Rohbauten, an denen seit Jahren nicht mehr gearbeitet wurde. Der junge Bürgermeister Christian Blatt (CSU) räumt ein: "Es ist kein gutes Bild, das die Gemeinde abgibt. Aber unsere rechtliche Handlungsbefugnis hält sich in Grenzen." Die Gemeinde Hebertshausen im Kreis Dachau will nun der Ursache auf den Grund gehen, weshalb Eigentümer ihre Häuser und Wohnungen einfach leer stehen lassen. Allein in der Gemeinde Hebertshausen handelt es sich um mindestens 73 unbewohnte Objekte. In einer Studie sollen nun alle 1700 privaten Immobilieneigentümer aus der Gemeinde befragt werden. Am Ende erhofft sich die Kommune eine Antwort auf die Frage: Was können Politik und Wohlfahrtsverbände tun, um leer stehende Gebäude für den Wohnungsmarkt zu aktivieren?

Freier Alpenblick

Bürgermeister Michael Müller (CSU) preist das Vorhaben als einzigartig in der Region: Auf einer 4,7 Hektar großen Industriebrache sollen in Geretsried, der mit 24 000 Einwohnern größten Stadt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, 700 neue Wohnungen für etwa 1500 Menschen entstehen. Hauptinvestor ist das Wolfratshauser Bauunternehmen Krämmel, die Baugenossenschaft Geretsried beteiligt sich. Geplant sind zu 40 Prozent Eigentums- und zu 60 Prozent Mietwohnungen, von denen wiederum die Hälfte Sozialwohnungen sein sollen. Die Entwürfe des Münchner Büros Kehrbaum Architekten umfassen außerdem eine Kindertagesstätte, ein Boardinghouse ("Wohnen auf Zeit") und ein Bäcker-Café. Auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sind bezahlbare Wohnungen seit Langem kaum zu finden. Investoren und Stadtpolitik sind sich deshalb einig, dass das Projekt große Bedeutung hat. Der Stadtrat hat in einem Workshop festgelegt, dass es statt einer Blockbebauung mit Standardgrundrissen in einer "differenzierten Hofbebauung" verwirklicht wird. Architekt Klaus Kehrbaum nannte als funktionales Vorbild für das in sich geschlossene Quartier die Fuggerei in Augsburg. Einzelne Wohntürme sollen bis zu zehn Geschosse haben - und damit freien Alpenblick bieten. Baubeginn könnte, wenn der Stadtrat endgültig Baurecht schafft, noch in diesem Jahr sein.

Für Jung und Alt

"Die Immobilienpreise sind buchstäblich durch die Decke gegangen", seufzt Unterhachings Bürgermeister Wolfgang Panzer (SPD). Um gegenzusteuern, hat die Gemeinde ein Mehrgenerationenprojekt mit insgesamt 100 Wohnungen auf den Weg gebracht. Dazu haben sich drei Bauherren zusammengeschlossen: die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Unterhaching (GWU), die damit ihren Bestand von 299 Wohnungen deutlich erhöhen will, die Baugenossenschaft Unterhaching und die Maro-Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen. Die Bauarbeiten auf dem gut 9000 Quadratmeter großen Areal auf der Stumpfwiese sind bereits in vollem Gang, im ersten Bauabschnitt entstehen 70 Wohneinheiten für die GWU sowie zwei Kindergartengruppen, das erste Mal innerhalb eines Mehrfamilienhauses. Im Frühjahr 2019 lassen dann die beiden Genossenschaften die Bagger anrollen, um das neue Quartier durch weitere 35 Wohnungen und eine Demenzwohngemeinschaft zu komplettieren. Durch den günstigen Erbbauzins will die Gemeinde Mieten unter zehn Euro pro Quadratmeter ermöglichen. Das Angebot soll offen für alle Altersstufen, für Alleinstehenden wie auch für Familien sein. Ein Teil der Wohnungen wird öffentlich gefördert, hier liegen die Mieten sogar nur zwischen 5,50 und 7,50 Euro pro Quadratmeter.

Teures Grundstück

Im Landkreis der Millionäre zu wohnen, war schon immer etwas teurer. So kostet im Landkreis Starnberg ein Einfamilienhaus im Bestand durchschnittlich 1,65 Millionen Euro - Rekord in Stadt und Umland München. Doch es geht noch teurer, vor allem wenn es sich um Grundstücke am Ufer der Seen handelt. Manchmal mischen dort nicht nur wohlhabende Fußballer, Privatiers oder Unternehmer mit, auch der Freistaat betätigt sich bisweilen als Luxus-Immobilienhändler. In Leoni, am Ostufer des Starnberger Sees, wollte eine Erbengemeinschaft ein hübsches 1500 Quadratmeter großes Grundstück mit genehmigtem Baurecht verkaufen - für etwa zwölf Millionen Euro. Ein Käufer war gefunden - doch plötzlich berief sich der Freistaat auf eine selten angewandte Gesetzesklausel, die der öffentlichen Hand bei Seeufergrundstücken ein Vorkaufsrecht einräumt. Fünf Millionen Euro oder mehr wäre der Freistaat bereit zu investieren, um das Grundstück der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wie es heißt. Doch die Eigentümer wollen nicht zu diesem Preis verkaufen, sie haben Klage eingereicht.

Wohnheim statt Büros

Es ist nur eine kleine Sache, aber sie zeigt sehr schön, wie gut die alten und oft schon vergessenen Rezepte waren. Als vor 45 Jahren in Erding das Kreiskrankenhaus gebaut wurde, das heute viel schicker Klinikum heißt, baute man daneben auch ein großes Schwesternwohnheim, wie das damals hieß. Junge Krankenpfleger mögen günstige Wohnungen. Damals wusste man das. Da man in Erding dann freilich vergaß, eine eigene Krankenpflegschule zu schaffen - ein Manko, das erst vor neun Jahren behoben wurde -, zogen nach und nach die nicht mehr ganz so jungen Pfleger aus dem Wohnheim aus. Tatsächlich standen irgendwann einmal viele der etwa 100 Appartements leer, und man kam auf die Idee, die Einraumwohnungen in Büros für Landratsamtsmitarbeiter umzufunktionieren. Jetzt wird in Erding das Rad zurückgedreht. Aus den Beamtenbüros werden wieder Kleinwohnungen für junge Pfleger, die nebenan lernen und arbeiten. Ein tolles altes Rezept, das auch andere wieder ausprobieren könnten: die Dienst- oder Werkswohnung.

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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