Trudering:Musiker nehmen Revier auseinander

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In die ehemaligen Truderinger Polizeiinspektion ziehen vier Produzenten ein. Sie nennen sich Clangstudio Community. Noch leben sie auf einer Baustelle, doch die erste Single ist bereits fertig

Von Jennifer Sandmeyer, Trudering

Wenn die Musik hier ankommt, könnte es sein, dass die Nachbarn die 110 wählen. Nachts. Wegen Ruhestörung. Einer gewissen Ironie würde das allerdings nicht entbehren: Denn an der Bajuwarenstraße 136, wo bis vor zehn Jahren noch die Truderinger Polizei ihren Sitz hatte, sind vor kurzem vier Musikproduzenten eingezogen: Markus Sebastian Harbauer, Florian Thaller, Manuel Weber und Stefan Pfändner. Sie nennen sich Clangstudio Community, oder, wie es Pfändner ausdrückt, "eine WG, bezogen auf Arbeit". Vor Kurzem eingezogen bedeutet: Es herrscht Baustellen-Flair.

Der Akkuschrauber brummt. Manuel Weber steht auf einer Leiter. Eifrig bohrt der 34-Jährige in der Wand. Seine Kollegen tragen einen riesigen Holzrahmen ins Zimmer. Ein Stoff ist in den Rahmen gespannt. Ein sogenannter Absorber. Unter dem Stoff ist er mit Steinwolle gefüllt. Sieht nach Kunst aus, verfolgt aber einen praktischen Nutzen: Er sorgt für einwandfreie Akustik. Bald werden alle Arbeitsräume mit Absorbern bestückt sein. Dann werden noch Kabel verlegt. Wände ausgemessen. Die Kulisse im ehemaligen Polizeirevier erinnert ein wenig an eine Folge "Zuhause im Glück" - vor den aufwendigen Renovierungsarbeiten. Der lange, schmale Flur ist kahl und kühl. An einer Stelle hat jemand angefangen, die Wand blau zu streichen. Und wurde dann wohl mittendrin unterbrochen. Es hallt, wenn man spricht. Ein paar Topfpflanzen stehen am Boden, ein Staubsauger herrenlos herum. Kartons stapeln sich. Vom dem Flur zweigen die Arbeitsräume und der Aufnahmeraum ab.

Noch herrscht Baustellenflair: Produzenten Markus Sebastian Harbauer rückt die Instrumentensammlung zurecht. (Foto: Florian Peljak)

Eingerichtet ist bis jetzt nur Markus Sebastian Harbauers Zimmer: Keyboard, Rechner, an einer Halterung hängen eine E- und eine Bassgitarre. Zwei Ledersofas, ein ausrangierter Schreibtisch aus dunklem Holz - der seinem Vater gehörte - eine Stehlampe mit riesigem Lampenschirm, die dem Raum schummriges Licht verleiht, rote Orientteppiche auf dem Boden. "Ich stehe auf altes Zeug", erzählt der 26-Jährige unvermittelt und grinst. Er hat als einziger seinen neuen Arbeitsplatz bereits genutzt.

Im neuen Jahr ist es das erste Treffen der Musiker. Harbauer berichtet seinen Mitstreitern, wie es ihm ergangen ist: "Man kann hier gut abhängen." Vor allem der hallende Korridor habe es ihm angetan. "Wir haben eine geile Akustik im Flur. Dieser Hall ist endfett." Was er sich zunutze machte. Während andere gefangen waren in der nebulösen Zeit zwischen den Jahren, in der keiner so wirklich weiß, welcher Tag es ist, war er schon fleißig. Produzierte eine Single. Testete die neue Location etwas aus. Trommelte auf einer Snare Drum im Flur. Die Aufnahme spielt er den anderen am PC vor und guckt erwartungsvoll in die Runde. Die nickt begeistert. Der Sound-Effekt erhält nach kurzer Fachsimpelei und - wie die vier augenzwinkernd immer wieder betonen - "Nerd-Talk" auch einen Namen: Sie einigen sich lachend auf "Flur-Reverb". Flur-Hall, auf gut Deutsch. Eine kurze Schrecksekunde gibt es wohl doch? "Von den Nachbarn ist aber keiner gekommen, oder?", fragt Florian Thaller gleich nach. Mehr im Scherz. Aber - Glück gehabt, niemand hat sich beschwert. Zugute kommt den Produzenten, dass die ehemalige Polizeistation nicht in einem Wohnhaus gelegen ist. Über die neue Location sind alle mehr als froh.

Dort, wo einst die Polizei Anzeigen aufnahm, wird heute an Reglern gedreht. (Foto: Florian Peljak)

Es musste ganz schnell gehen. Im Dezember vergangenen Jahres. Als endlich feststand: Es geht weiter. Die Musik wird nur verlagert. Von Giesing nach Trudering. Vier Musiker samt technischem Equipment. Mehrere Lkw-Ladungen voller Lautsprecher, Mikrofone, Outboards, Equalizer, Absorber. Ihr "Männerspielzeug", wie es die vier lachend nennen. Ja, Lachen, das können sie nun wieder ganz befreit. Nach einem Happy End sah es lange Zeit nicht aus. Ihr altes Studio in Giesing mussten sie schweren Herzens räumen. 13 Jahre arbeiteten sie darin. Oft bis in die Nacht hinein. Dann wurde das Grundstück 2018 plötzlich verkauft. Mehrfamilienhäuser sollen dort gebaut werden. Und so stand das ganze Projekt plötzlich auf der Kippe. Wie geht es weiter? Und vor allem: Wo? Ein Jahr lang suchten sie nach einer neuen Bleibe. Denn sie wollten doch weiterhin gemeinsam Musik machen. Für Florian Thaller, Vater von zwei Kindern, eine Zerreißprobe. Verbunden mit Existenzängsten. Sein Worst-Case-Szenario war plötzlich so greifbar: Ausstieg. Neuanfang. Mit 38. "Du überlegst dir schon, ob du dir dann einen Bürojob suchst", erzählt er. Doch Stefan Pfändner wollte nicht aufgeben. "Ich hatte die unbegründete Hoffnung, dass es weitergeht." Also telefonierte er. Ohne Unterlass. Und seine Hartnäckigkeit zahlte sich auch aus: Im Dezember vergangenen Jahres vermittelte ihnen das Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt die neue Bleibe.

Ende Januar soll nun alles fertig sein. Bis dahin ist noch einiges zu tun: Wo früher noch Betrunkene ausnüchtern durften, stapelt sich aktuell Dämmmaterial, zusammen mit einigen Absorbern. Für Künstler und Bands wird die besagte Zelle besonders wichtig: Sie ist der zukünftige Aufnahmeraum. Klein, mit winzigen, deckenhohen Fenstern. Und grellem Neonlicht. Natürlich wird auch dieser Raum noch renoviert. Schließlich sollen sich alle Künstler wohlfühlen. Das liegt dem Team sehr am Herzen.

Die Musiker Florian Thaller, Manuel Weber (li.) und Stefan Pfändner (re.) haben zusammen mit Produzent Harbauer ihre neue Wirkungsstätte in einer Polizeistation gefunden. (Foto: Florian Peljak)

Wie in anderen WGs führen alle Wege irgendwann schließlich an einen Ort: die Küche. Wo sonst lässt sich eine kreative, ungezwungene Kaffeepause einlegen? Wo sonst entstehen philosophische Diskussionen über das Leben? "Ohne Küche ist es unpersönlich", findet Stefan Pfändner. Die Liebe zur Musik teilen sie alle, doch hat jeder sein persönliches Steckenpferd. Am Küchentisch geben sie sich gegenseitig Tipps. "Man lernt voneinander", sagt Harbauer. Aber nicht nur das: Sie sind auch als Freunde füreinander da. Wenn es privat mal nicht so gut läuft. In der Küche, bei Kaffee oder einem kühlen Bier, geht es halt doch zu wie in einer ganz normalen WG. Einen kleinen Unterschied zu anderen WG-Küchen gibt es aber wohl: In dieser Küche befinden sich draußen vor den Fenstern Gitterstäbe.

© SZ vom 15.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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