Toto-Pokal:Stille nach der letzten Pointe

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Holz am Bein: Türkgücüs Mittelfeldspieler wirft sich mit allem, was er hat, in den Weg von Hachings Kapitän Marc Endres. Ausdruck einen verbissenen Pokalkampfs, der erst in der letzten Sekunde seine Entscheidung fand. (Foto: Claus Schunk)

Die einen nehmen das Herz in die Hand, den anderen fehlt Ruhe im Fuß - fast wäre Türkgücü gegen Unterhaching die Überraschung geglückt. Doch der Favorit setzt sich in der Nachspielzeit durch.

Von Thomas Hürner, Kirchheim

Am Ende eines langen und nervenaufreibenden Pokalabends brachte Reiner Maurer erst mal seine Taktiktafel ins Auto. Er verzögerte deswegen den Start der Pressekonferenz, aber das Verständnis war groß für den Trainer von Türkgücü München. Weshalb sollten seine Spieler zusätzlich mit dem Anblick einer schnöden Taktiktafel belastet werden? Dieses große Stück Plastik, auf dem man bunte Magnete hin und her bewegt, um Laufwege und strategische Winkelzüge zu erklären, mag ja durchaus eine sinnvolle Erfindung sein. Aber jetzt war es vorübergehend unerwünscht in der Kabine des Regionalligisten. Nach einem Fußballspiel wie diesem hätte so eine Taktiktafel höchstens zusätzliche Verwirrung gestiftet. Also weg damit, dachte sich Maurer wohl, was sollte dieses Ding denn auch noch für Erklärungen oder Erkenntnisse bereithalten?

Seine Mannschaft hatte am Mittwochabend im Achtelfinale des bayerischen Toto-Pokals 2:3 gegen den Drittligisten SpVgg Unterhaching verloren. Türkgücü hatte zur Halbzeit 0:2 zurückgelegen, sich dann mit einer hingebungsvollen Leistung zurück ins Spiel gekämpft und in der Nachspielzeit tatsächlich noch den Ausgleich erzielt. Es wäre ins Elfmeterschießen gegangen, mit dem Momentum aufseiten der Heimelf, das euphorische Publikum jedenfalls schien daran keinen Zweifel zu haben. Doch dann gab es noch mal einen Eckball für den Favoriten, der Hachinger Verteidiger Paul Grauschopf wuchtete den Ball per Kopf ins Netz. Es war die letzte Aktion der Partie, die Spieler von Türkgücü sanken zu Boden, auf einmal wurde es ganz still im Sportpark Heimstetten.

Trainer Maurer hätte also allen Grund gehabt, die Ungerechtigkeiten des Fußballsports zu beklagen, er hätte genauso gut von seinen Spielern mehr Konzentration in den Schlusssekunden einfordern können. Stattdessen sagte er: "Wir haben das Herz in die Hand genommen", das Spiel sei "Werbung für den Verein Türkgücü München" gewesen. Umso besser, dass damit ziemlich viele Menschen erreicht werden konnte: Der Andrang war so groß, dass die Begegnung aufgrund überlasteter Kassenhäuschen mit etwa fünfzehnminütiger Verspätung angepfiffen werden musste.

Die 1559 Zuschauer, unter ihnen auch der ehemalige 1860-Stürmer Benny Lauth, sahen eine über weitere Strecke offene Partie, in der aber auch deutlich wurde, dass der Drittligist Unterhaching über etwas mehr individuelle Qualität und spielerische Finesse verfügt. Sie sahen aber auch einen Außenseiter, der es durchaus darauf anlegte, sich mit dem Favoriten nicht nur kämpferisch, sondern auch fußballerisch zu messen. Wo es ging, versuchte es Türkgücü mit spielerischen Mitteln, und wenn es mal nicht ging, dann eben mit schnellen Kontern und Schüssen aus der Distanz. In jeder Phase des Spiels aber mit einer ruppigen Gangart in den Zweikämpfen, sobald Haching die Mittellinie überquerte. "Wir haben gefightet", stellte Maurer nicht zu Unrecht fest. Im Abschluss habe jedoch "die letzte Konsequenz" gefehlt, "ein bisschen Glück" übrigens auch.

Gefühl im Fuß: Hufnagels Lupfer zum 0:2 war der ästhetisch wohl anspruchsvollste Moment

Was die Münchner aber auch nicht hatten: Einen Einzelkönner wie den Hachinger Spielmacher Lucas Hufnagel, der einem Fußballspiel alleine jene Wendungen geben kann, die seine Mannschaft gerade braucht. Den Führungstreffer durch Jim-Patrick Müller bereitete er in der 22. Minute mit einem Heber über die Türkgücü-Abwehr vor. Kurz vor der Pause demonstrierte der 25-Jährige abermals, dass er über viel Gefühl im Fuß verfügt. Hufnagel lupfte den Ball über den Münchner Torwart Franco Flückiger, sein Treffer war der vielleicht ästhetisch anspruchsvollste Moment des Spiels (45.). Zwischen den beiden Toren war die Heimelf nah dran am Ausgleich. Abwehrspieler Mario Erb etwa, ein früherer Hachinger übrigens, vergab freistehend vor Torwart Steve Kroll. In dieser Phase habe seine Mannschaft "Haching an die Wand gespielt", fand Maurer, was vielleicht ein bisschen übertrieben war, aber bei seinem Banknachbarn in der Pressekonferenz auf zumindest tendenzielle Zustimmung traf. Zu diesem Zeitpunkt hätten seine Spieler "ein bisschen um den Ausgleich gebettelt", sagte der Hachinger Trainer Claus Schromm, ihnen sei "die Ruhe im Fuß" abhanden gekommen.

In der zweiten Hälfte passierte lange nichts, aber das will trotz eines Zwei-Tore-Vorsprungs ja nichts heißen, wie Schromm anmerkte: "Wer gedacht hätte, das war's, der kennt die Gesetze des Pokals nicht." Türkgücü jedenfalls wollte sich nicht geschlagen geben, die Heimelf warf in der letzten Viertelstunde noch mal alles nach vorne. Mit dem Anschlusstreffer von Stefan Wächter (78.) kehrte der Glaube zurück, das Wunder schien vollbracht, als Benedikt Kirsch den Ball zum Ausgleich ins Tor grätschte (90.). Wer die Gesetze des Pokals kennt, der weiß aber auch: Die Pointe eines Spiels kann auch in der allerletzten Sekunde noch gesetzt werden, Grauschopfs Kopfballtreffer zum 3:2 versetzte die Türkgücü-Fans in Schockstarre. "Ein Unentschieden wäre gerecht gewesen", sagte Maurer, seine Spieler seien "natürlich enttäuscht". Aber: "Immerhin haben wir gezeigt, dass wir mithalten können." Hachings Trainer Schromm nickte anerkennend mit dem Kopf.

© SZ vom 06.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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