Sängerbiografie:Zwischen Chor und Kicken

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Frederic Jost singt jetzt im Berliner Opernstudio. (Foto: Sarah Foubert)

Der Bass Frederic Jost verbrachte seine Jugend beim Tölzer Knabenchor

Von Michael Stallknecht, München/Berlin

Als 2006 in München die Eröffnungszeremonie der Fußballweltmeisterschaft stattfand, da sang auch Frederic Jost als Mitglied des Tölzer Knabenchors ein Solo vor dem Milliardenpublikum an den Fernsehern. Der Junge interessierte sich freilich mehr für das Trikot und die neuen Fußballschuhe, die er danach geschenkt bekam. Schließlich war er musikalisch längst deutlich Besseres gewöhnt: Auftritte in Meisterwerken an den großen Opernhäusern und Konzertsälen der Welt.

Zum Zoomgespräch erreicht man den heute 27-Jährigen in seinem Elternhaus in Anzing. Gerade hat er als Bass im Bundeswettbewerb Gesang den gemeinsamen Preis der drei Berliner Opernhäuser gewonnen.

Nun hat er Zeit, auch weil es im Opernstudio der Berliner Staatsoper, deren Mitglied er seit vergangener Spielzeit ist, wegen Corona etwas weniger zu tun gibt. Ihm fehle momentan sehr das Gemeinschaftsgefühl, das er schon bei den Tölzern erlebt habe, sagt er, die unmittelbare körperliche Nähe anderer Sänger. "Allein kann man keine Musik machen. Das ist dann nur Üben." Ohne die Knabenchöre wäre die Opern- und Konzertwelt deutlich ärmer an guten Männerstimmen, viele heute bekannte Sänger haben dort ihre Wurzeln. Schließlich tun sich Jungs in der Pubertät oft schwerer mit klassischem Gesang als Mädchen, weshalb sich an den Musikhochschulen regelmäßig deutlich mehr Frauen als Männer um einen Studienplatz bewerben. Wer als junger Mann dennoch zur Aufnahmeprüfung antritt, hat oft schon im Knabenchor erfahren, dass Singen für einen Jungen genauso normal sein kann wie Fußballspielen.

Frederic Jost spielte Fußball im SV Anzing und sang Soli unter Mariss Jansons

Wie für Frederic Jost, der in der D-Jugend des SV Anzing kickte, während er gleichzeitig unter Stardirigenten sang. Etwa 2004 bei einem der ersten Konzerte von Mariss Jansons als Chef des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, als er im Herkulessaal das umfangreiche Solo in Leonard Bernsteins "Chichester Psalms" übernahm. Entdeckt hatten die Tölzer, die damals noch von ihrem Gründer Gerhard Schmidt-Gaden geleitet wurden, seine Stimme bei den jährlichen Vorsingen in den Schulen im Münchner Umland. Dass diese Vorsingen momentan wegen Corona ausfallen, könnte deshalb in den kommenden Jahren Löcher auch in die Besetzungen großer Opernhäuser reißen, wo die Jungs vom Tölzer Knabenchor bis heute fest für Solorollen eingeplant sind. Etwa als Yniold in Claude Debussys "Pelléas et Mélisande", den Jost bereits als Zehnjähriger im Münchner Nationaltheater verkörperte, und natürlich immer wieder als die drei Knaben in der "Zauberflöte", deren zweiten Jost unter anderem unter Claudio Abbado auf Platte eingesungen hat. "Heute wäre ich total nervös bei einem solchen Dirigenten, damals habe ich einfach meinen Job gemacht", sagt er. Er spürte nur, dass da jemand am Pult stand, der seinen eigenen Job wirklich gut beherrschte und deshalb auch von ihm viel verlangen durfte.

Dass die Chor- und Soloproben "schon eine strenge Schule" gewesen seien, findet Jost deshalb bis heute richtig. Schließlich habe man in dem Bewusstsein geprobt, "der FC Bayern unter den Knabenchören zu sein". Die Anerkennung versüßte ihm die Arbeit, dazu kamen die vielen Reisen, bei denen immer auch Zeit eingeplant gewesen sei, um die Kultur vor Ort kennenzulernen, vom Essen bis zu den Museen. Bei längeren Auslandsaufenthalten kam ein Privatlehrer mit, während Frederic zum Neid seiner Mitschüler mal wieder das Gymnasium schwänzen durfte.

"Etwas anderes als Musik konnte ich mir danach gar nicht vorstellen", sagt er. Nach drei Jahren im Männerchor der Tölzer ging es für ihn dann auch fast nahtlos ins Gesangsstudium bei Michelle Breedt an der Münchner Musikhochschule. Bereits als Student sang er wieder kleine Rollen im Nationaltheater, daneben größere etwa in der Festspielwerkstatt der Bayerischen Staatsoper oder als Gast in deren Opernstudio. Auch im Opernstudio der Berliner Staatsoper warten nun interessante Aufgaben auf ihn, weshalb ihm Corona durchaus Sorge bereitet. Schließlich ist für einen Sänger in seinem Karrierestadium kaum etwas wichtiger, als sich zeigen zu dürfen. Er hofft deshalb, dass er in den kommenden Monaten wie geplant den Polizeikommissär im "Rosenkavalier" oder den Eremiten im "Freischütz" auf der großen Bühne der Staatsoper unter den Linden singen kann. Es sei die Bühnenerfahrung aus der Knabenchorzeit, die ihm bis heute helfe, sagt er, in solchen Situationen das Lampenfieber im Griff zu behalten. Wer schon als Kind das Singen vor Publikum als normal erlebt habe, sei halt gewohnt, "auf den Punkt Leistung zu bringen".

© SZ vom 18.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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