Tödlicher Unfall:Blinde Frau stürzt zwischen Waggons

Lesezeit: 2 min

Tödlicher Unfall am U-Bahnhof Silberhornstraße: Eine 28-Jährige stürzt beim Einsteigen, die Fahrgäste ziehen die Notbremse zu spät.

Philipp Crone

Eine 28-jährige blinde Münchnerin ist am Mittwochabend am U-Bahnhof Silberhornstraße beim Einsteigen in den Spalt zwischen zwei U-Bahn-Waggons gestürzt und von dem anfahrenden Zug tödlich verletzt worden. Passanten waren erst auf die Frau aufmerksam geworden, als es schon zu spät war - auch die Notbremse konnte den Zug nicht mehr stoppen, die Frau wurde mehrere Meter mitgeschleift. Der U-Bahn-Fahrer bemerkte von dem Unfall zunächst nichts.

Passanten auf dem Bahnsteig bemerkten zunächst nichts von dem Sturz.Im Bild: Die U-Bahnhaltestelle Silberhornstraße. (Foto: Foto: dpa)

Laut Polizeiangaben waren mehrere Personen auf dem Bahnsteig, als das Unglück passierte. Die Videoaufzeichnungen vom Unfall werden derzeit vom Unfallkommando ausgewertet. Demnach fuhr gegen 22.45 Uhr eine U-Bahn stadteinwärts in den Bahnhof ein und blieb stehen.

Passanten bemerkten nichts

Die 28-Jährige wollte in den vorletzten Waggon einsteigen und tastete sich mit ihrem Blindenstock zur Bahnsteigkante vor. Gleichzeitig stiegen Personen aus der U-Bahn aus und ein. Beim Ertasten verwechselte die Frau offenbar den Spalt zwischen dem letzten und vorletzten Waggon mit einer offenen Tür. Sie fiel vom Bahnsteig ins Gleisbett. Der Fahrer der U-Bahn konnte dies in seinem Spiegel allerdings nicht sehen, da ihm die Sicht durch die anderen zu- und aussteigenden Fahrgäste verstellt wurde. Die Passanten auf dem Bahnsteig bemerkten ebenfalls zunächst nichts von dem Sturz. Die Frau stand im Gleisbett wieder auf und versuchte, auf den Bahnsteig zu klettern.

Der U-Bahn-Fahrer wartete derweil auf das Abfahrtsignal und setzte den Zug schließlich in Bewegung. Erst in diesem Moment bemerkten Fahrgäste auf dem Bahnsteig die Frau, begannen laut zu rufen und rannten zu ihr. Das hörte ein Mann, selbst U-Bahn-Fahrer bei der MVG, auf der Rolltreppe. Er lief zurück zum Bahnsteig und zog den Griff des Nothalts, mit dem sich die Züge von außen stoppen lassen. Dies funktioniert allerdings nur, bis der Zug einen Kontakt kurz hinter dem Tunneleingang überfahren hat - was schon geschehen war. Die U-Bahn rollte deshalb weiter.

Auch im Zug selbst hatte ein Passant den Vorfall bemerkt und die Notbremse gezogen - ebenfalls zu spät. Weil ein Stopp im Tunnel vor allem bei Bränden als besonders gefährlich eingestuft wird, reagiert der Fahrer aufs Ziehen der Notbremse normalerweise erst im nächsten Bahnhof. Anders als der Nothalt am Bahnsteig wirkt die Notbremse nicht direkt auf den Zug.

Fahrer vom Kriseninterventionsteam betreute

Dies hatte für die Frau tragische Folgen: Sie wurde zwischen Bahnsteigwand und Zug eingeklemmt und tödlich verletzt. Passanten auf dem Bahnsteig setzten schließlich einen Notruf ab. Der 28-Jährige U-Bahn-Fahrer wurde von der Leitstelle per Funk über den Unfall informiert und stoppte den Zug beim nächsten Bahnhof am Kolumbusplatz. Er wurde dann vor Ort von einem Kriseninterventionsteam betreut.

Elke Runte, Sprecherin des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes und selbst stark sehbehindert, sagt: "Normalerweise ertastet man mit dem Stock zuerst die für Blinde eingerichteten Rillen am Bahnsteig, die etwa 80 Zentimeter von der Kante entfernt sind. Dann tastet man nach dem Waggon." Runte vermutet, dass die 28-jährige Sozialpädagogin es entweder sehr eilig hatte und zügig gegangen ist, oder für einen Moment unkonzentriert war. "Sich blind fortzubewegen, kostet einen eben unglaublich viel Energie und man muss in jeder Sekunde voll konzentriert sein." Aber man könne nie alle Risiken für Blinde ausschalten, sagt Runke.

Die Polizei ermittelt nun in alle Richtungen und geht auch der Frage nach, ob die Passanten früher hätten eingreifen können.

© SZ vom 12.06.2009/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: