Theaterprojekt "Filmtrip #002":Spiel mit beim Lied vom Tod

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Animierdame Arlette (Thea Schütte) wird immer wieder erschossen und von Wissenschaftlern reanimiert. Sie ist nämlich ein Roboter. (Foto: Gabriela Neeb)

Es ist eine Mischung aus Motto-Party und Happening: Wer sich ein Ticket für das Theaterprojekt Filmtrip kauft, wird selbst Teil der Performance. Über einen Abend im Western-Saloon.

Von Anna Steinbauer

Der Abend ist noch jung, aber Arlette ist schon fünfmal gestorben. Schon wieder hat einer von den kostümierten Möchtegern-Cowboys mit aufgeklebtem Schnurrbart seine Plastikknarre auf die blonde Schönheit gerichtet und abgedrückt. Ein harmloser Knall, ein kurzer Schrei der Animierdame mit der toupierten Turmfrisur und dem grünen Lidschatten - dann sinkt sie theatralisch in sich zusammen und plumpst auf den Boden des Saloons, wo sie reglos liegen bleibt.

Die gut 50 Besucher der Bar lassen sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Sie nippen weiter an ihren Whiskys, spielen Blackjack um Spielzeugmunition oder schwingen die Hüften zur Country-Musik. Es gehört zum Spiel, dass immer mal wieder einer erschossen wird. Auch diesmal muss Arlette nicht lange ausharren.

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Schon bahnen sich zwei Wissenschaftler in ihren weißen Kitteln den Weg durch die heitere Meute, um die Blondine zu reparieren. Denn Arlette ist ein Roboter, der einzig zum Vergnügen der Gäste da ist. Und sie ist eine Schauspielerin des Theaterprojekts "Filmtrip #002". Vielleicht macht das gar keinen so großen Unterschied.

Der Zuschauer ist aktiver Teilnehmer

Die Filmtrip-Reihe ist ein neuartiges Veranstaltungskonzept der Münchner "Zombocombo"-Macher. Das Künstlerkollektiv um Benjamin Mathias und Patrick Chaudhri möchte die Grenzen zwischen Theater, Film und Rollenspiel verwischen und verwandelt die Zuschauer in aktive Teilnehmer ihrer Performance. Diese basiert auf einem Film, dessen Titel bis zum Schluss des Abends unbekannt bleibt.

Wer sich ein Ticket kauft, wird selbst Teil der aufwendig gestalteten Szenerie; die Rahmenhandlung und wichtige Plotpunkte des Films bestimmen den Verlauf des Abends. Im Mai gab es bereits einen ersten Filmtrip, der die willigen Mitspieler in die grausame Szenerie des Psychothrillers "Schweigen der Lämmer" versetzte, wo sie im Gewölbekeller der Favorit-Bar den Serienkiller Buffalo Bill jagten.

Diesmal geht es in den Wilden Westen. Das ist aber auch das einzige, was die Teilnehmer wissen, wenn sie sich am U-Bahnhof Thalkirchen treffen, dem Ausgangspunkt für den Westerntrip. Der wurde ihnen per E-Mail mitgeteilt, zusammen mit einem Phantasienamen und der Aufforderung, in einem entsprechenden Outfit zu erscheinen. Am U-Bahnhof sind die Teilnehmer des Filmtrips, der sich als eine gelungene Mischung aus Motto-Party und Happening herausstellen wird, sofort an ihrer mehr oder weniger aufwendigen Western-Kostümierung zu erkennen.

Anfangs fühlen sich alle etwas fehl am Platz zwischen den Cowboyhüten und der improvisierten Lederkluft. Alle warten. Schließlich geleiten zwei als Stewardessen verkleidete Schauspielerinnen die Teilnehmer zum Ziel: einer richtigen kleinen Western-Stadt, zu der ein Saloon, eine Koppel mit Stall, eine Feuerstelle und ein paar Tipis gehören. Als Veranstalter Mathias den an der Isar gelegenen "Cowboy Club München" bei einem Tag der offenen Tür besichtigte, war ihm sofort klar, dass dies der perfekte Ort für sein nächstes Projekt war.

Die hereinbrechende Dunkelheit macht es einfacher, sich auf den Filmtrip einzulassen. Denn das Spiel ergibt nur Sinn, wenn man von Anfang an mitmacht; wie sehr, das bleibt jedem selbst überlassen: "Je tiefer du in deine Rolle eintauchst, desto aufregender wird dein Abend", steht in der Ankündigung. Zur Begrüßung tauschen die Western-Reisenden ihren letzten Alltagsgegenstand, das Handy, gegen eine Plastikpistole mit Munition ein und akklimatisieren sich zunächst im Saloon.

So beginnt der Theaterabend: Die Zuschauer finden sich im Saloon ein und fangen langsam an mitzumachen. (Foto: Gabriela Neeb)

Hier vergnügen sich etwa 50 verkleidete Cowboys, Bardamen, Pokerspieler und Ponchoträger. Davon sind etwa eine Handvoll professionelle Schauspieler und der Rest Laiendarsteller und Teilnehmer, die nun nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Das Besondere an dem von Karolin Hingerle geschriebenen und von Jessica Glause inszenierten Konzept des Wildwest-Trips ist, dass es einige Handlungsfixpunkte gibt, die auf einem trashigen Science-Fiction-Western von Michael Crichton aus den Siebzigerjahren beruhen. Diese werden von Schauspieler gespielt, der Rest ist Improvisation und Interaktion mit den Zuschauern.

Eine stringente Dramaturgie gibt es nicht

So viel passiert nicht, an der Bar kann man Whisky oder Bier bestellen, eine Live-Band spielt lauschigen Country-Rock. "Die Szenerie ist das Wichtigste, sie gibt einen Zeitstrahl vor, damit der Zuschauer in die fremde Welt eintauchen kann", erklärt Schauspielerin Thea Schütte, die den Animierroboter Arlette spielt. "Gleichzeitig passieren aber überall unterschiedliche Dinge." Eine stringente Dramaturgie gibt es nicht, die Teilnehmer entscheiden selbst, ob sie am Banküberfall teilnehmen, beim Hufeisenwerfen Munition gewinnen oder einzelne Schauspieler erschießen, die wie im Film Roboter sind. Da es keinen dramaturgischen Höhepunkt gibt, plätschert der Abend etwas vor sich hin. Nach etwa drei Stunden endet er mit dem gemeinsamen Filmschauen.

Dass das Western-Rollenspiel gelingt, hängt von der sozialen Interaktion der Gäste ab, die teilweise aber einfach nur am Lagerfeuer sitzen oder beobachten, wie der schwarze Cowboy mit den Zombieaugen wieder aus dem Saloon geworfen wird. Plötzlich wird ein Cowboy-Teilnehmer vom Sheriff am Schlafittchen gepackt und nebenan in den Western-Knast eingebuchtet. In einem Eck beschließt ein wagemutiger Cowboy in Lederjacke gemeinsam mit einer Westernlady im langen Rock und einem Cowgirl, den unschuldig verhafteten Mitspieler zu befreien. Sie starten einen erfolgreichen Überfall auf das Gefängnis, als hätten sie nie etwas anderes getan.

Weitere Aufführungen: 29. und 31. Oktober sowie 5., 7. und 9. November. Beginn: 18.15 Uhr. Karten gibt es im Internet unter www.filmtrip.org

© SZ vom 28.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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