Schon in der Schule schaut der Schüler gerne danach, was sein Konkurrent, der Banknachbar, so treibt. Er vergleicht sich, schreibt vom anderen ab - oder gerade nicht, wenn der andere keine Ahnung hat.
Im Falle des Münchner Residenztheaters heißt der Nachbar Kammerspiele, er befindet sich quasi auf der anderen Straßenseite. Beim Blick in den soeben vorgestellten Spielplan des Residenztheaters für die Saison 2016/2017 liegt die Vermutung nahe, dass Intendant Martin Kušej nichts übernehmen will. Sondern dass er sich bewusst von Banknachbar Matthias Lilienthal abgrenzen will, der an den Kammerspielen bald die zweite Spielzeit eine Art Theater-Wundertüte anbieten wird.
Lilienthal bietet ein Rundum-Paket für den aufgeschlossenen Kulturbürger, der neben schönem Sprechtheater auch Bands im Theater hören will, der etwas über seine Lieblingsserie lernen und sich mit Geflüchteten austauschen möchte. Das Theater als erweitertes Wohnzimmer, in dem jeden Moment eine Party ausbrechen könnte.
Politisch korrekt, anspruchsvoll und ein wenig erwartbar
Der Spielplan für die neue Saison des Residenztheaters wirkt dagegen wie das Programm eines Musterschülers: politisch korrekt, anspruchsvoll und ein wenig erwartbar. Klassiker statt Textwerkstatt. Schauspieltheater statt Performance-Experimenten. Schönstes Regietheater.
Das könnte man als Kommentar zu den wilden Kammerspielen deuten. Als einen Kommentar in Form einer Profil-Schärfung sozusagen, der die sich zunehmend unterscheidende Ausrichtung der konkurrierenden Häuser noch deutlicher macht.
Für das Publikum ist das toll, weil das Angebot der Theater komplementär ist. Kein Mensch braucht zwei Resis oder Kammerspiele in München. Insofern ist es schön, wenn Lilienthals Theater das Resi dazu bringt, sich noch mehr auf sich zu besinnen.