Residenztheater:Der schwarze Vogel Furcht

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"Es sind dramatische Zeiten", sagt Martin Kušej, "und dramatische Zeiten verlangen Dramatik." (Foto: Stephan Rumpf)

Nicht nur das neue Spielzeit-Heft des Bayerischen Staatsschauspiels sieht bedrohlich aus - die kommenden Projekte von Intendant Martin Kušej sind ebenfalls von den Bedrohungen und Ängsten unserer Gesellschaft geprägt

Von Christiane Lutz

Ein großer, schwarzer Vogel breitet seine Schwingen über die gesamte Welt aus. Wie ein überdimensionaler Schatten umarmt er alle Kontinente. Bedrohlich sieht das aus, das findet auch Martin Kušej, der Intendant des Münchner Residenztheaters. "Epic Imperial - The long tomorrow" heißt das Kunstwerk von Andy Hope aus dem Jahr 2003, das nun über das neue Spielzeitheft des Residenztheaters fliegt. Aufmerksame Münchner kennen es aus dem Baader-Café, wo ein Druck des Bildes an der Wand hängt.

Die Botschaft dieses schwarzen Vogels ist klar: Da hängt etwas über uns. "Die Geschichte wiederholt sich", sagt Kušej zu Beginn der Spielzeit-Pressekonferenz, "das wissen wir natürlich. Erstaunlich ist aber immer wieder, dass sich Reflexe und Haltungen wiederholen, die wir lang hinter uns glaubten." Er meint die Radikalisierung der Gesellschaft in Zeiten von Flüchtlingsthematik und Terrorangst; den Rechtsruck der Gesellschaft, der sich in Deutschland am Aufstieg der AfD und in Österreich, wo Kušej herkommt, am Erfolg des rechtspopulistischen Politikers und möglichen künftigen Bundespräsidenten Norbert Hofer (FPÖ) ablesen lässt. "Es sind dramatische Zeiten. Und dramatische Zeiten verlangen Dramatik", sagt Kušej und schickt hinterher: "Das Theater kann dabei niemals Lösungen, sondern nur Raum zur Debatte anbieten."

Den wird es von 23. September an wieder geben, wenn das Resi die Spielzeit mit einem Klassiker eröffnet: Schillers "Die Räuber" unter der Regie von Ulrich Rasche, der für seine formstrengen Inszenierungen bekannt ist. "Die Räuber" ist natürlich das Stück über Rebellion und die Frage nach Recht und Unrecht schlechthin. Die Brüder Franz und Karl Moor stehen sich darin als Vertreter zweier unterschiedlicher Ideologien gegenüber und scheitern am Ende beide. Darauf folgt Sartres "Die schmutzigen Hände", inszeniert von Kušej selbst, in dem "das abstrakte Ziel des Siegs der Partei" verfolgt wird. Der am Resi schon fast zur Ausstattung gehörende David Bösch inszeniert Horváths "Glaube, Liebe, Hoffnung", die Geschichte der tapferen Elisabeth, die in einer ungerechten Welt nicht bestehen kann. Tina Lanik widmet sich Euripides und den "Troierinnen", und Opern-Regisseur Hans Neuenfels wird sich an Sophokles' "Antigone" abarbeiten.

Es werden Fragen des Rechts und Unrechts verhandelt werden. "Wer trifft die Entscheidungen und wie weit reichen die Befugnisse? Wer ist von wem wozu legitimiert?", steht auf der ersten Seite des Spielzeithefts. Und: "Befinden wir uns im Krieg?" Die 18 Premieren erzählen vom Kampf eines Einzelnen gegen den Staat, gegen die Gesellschaft, gegen die Götter und vom unbedingten Willen zum Sieg.

Martin Kušej freut sich über eine Auslastung von 82,5 Prozent und mehr als 10 000 Abonnenten und spricht über den dringenden Wunsch des Theaters, ein eigenes Gebäude für die Probebühnen bauen zu dürfen. Das Residenztheater musste vor kurzem nach 15 Jahren aus einem Proben-Container-Provisorium am Leonrodplatz in ein neues Container-Provisorium ein paar Meter weiter umziehen. Keine idealen Bedingungen für die Kunst. Man führe zur Zeit Gespräche mit dem Ministerium und diskutiere die Eignung eines Geländes in der Hohenlindener Straße im Münchner Osten als Standort für ein Probenhaus.

Wirklich spektakuläre Neuverpflichtungen gibt es an diesem Tag nicht zu verkünden: Zuschauer-Erschrecker Oliver Frljić inszeniert "Die Unfähigkeit, über Mauser zu trauern" über Heiner Müllers "Mauser", und Andreas Kriegenburg interpretiert einen "Macbeth" neu.

Die politischste Besetzung Kušejs ist wohl die des lettischen Regisseurs Alvis Hermanis, der ein Wagner-Projekt namens "Insgeheim Lohengrin" machen wird. Hermanis hatte im Dezember eine Produktion in Hamburg hingeschmissen, weil er, so das Thalia Theater, nicht mit dem "humanitären Engagement für Flüchtlinge des Theaters in Verbindung gebracht werden wolle". Hermanis versuchte danach zwar zu relativieren, ein fader Geschmack aber blieb. Kušej versichert, sich mit Hermanis über diesen Vorfall ausgetauscht zu haben und lobt ihn als "interessanten, streitbaren Künstler", auf dessen Perspektive er neugierig sei.

Natürlich kann die Ankündigung einer solch politisch ambitionierten Spielzeit-Gestaltung nicht ohne die Frage nach Kušejs Haltung zur Lage in Österreich beendet werden: "Ich finde es höchst irritierend, was da passiert", sagt er. Und wenn es wahr wäre, dass der ehemalige Bundeskanzler Werner Faymann am Montag nur deshalb zurück getreten sei, "weil er mit seiner Haltung, nicht mit der FPÖ koalieren zu wollen, keinen Rückhalt mehr in seiner Partei hat - dann gnade uns Gott."

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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