Tassilo:München tanzt im Viereck

Lesezeit: 4 min

Im Spätsommer 2020 war die Theresienwiese ein verlassener, trauriger Ort - bis das Organisationsteam von "Kunst im Quadrat" auf die berühmteste Brachfläche der Stadt trotz strenger Corona-Auflagen ein entspanntes Festival zauberte

Von Birgit Lotze

Das Jahr 2020 wird auch als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Münchner ihre Theresienwiese entdeckten. Mit einem Aperol Spritz unter Palmen sitzen oder sich von einer Turnstange zur nächsten hangeln, so etwas gab es noch nie auf dem Wiesn-Areal. Hunderte Menschen beim ungehinderten Laufen, Skaten, Radeln über die weiten Kies- und Asphaltflächen, die sonst den Sommer über für den Aufbau des Oktoberfests gesperrt sind. Zwei Wochen im August zog vor allem "Kunst im Quadrat", ein Projekt der drei an die Theresienwiese grenzenden Stadtteilkulturzentren, viele Menschen auf das Gelände - ein Festival, das von Besuchern ein bisschen als Sommermärchen wahrgenommen wurde. Wegen des erfrischenden Programms für Alt und Jung. Wegen der entspannten Konzertstimmung, die trotz der Hygieneregeln aufkam. Weil einfach endlich mal wieder etwas los war. Und weil dank städtischer Zuschüsse alles kostenlos zu erleben war.

8500 Besucher zwischen 0 und 93 Jahren wurden gezählt bei Kunst im Quadrat, ziemlich viele für die kulturarmen Pandemie-Zeiten. 54 Workshops gab es mit rund 500 Teilnehmern, meistens Kinder. 59 Auftritte von Bands oder anderen Künstlern - alles unter Einhaltung der Corona-Regeln. Musik, Performance, Workshops, Werkstattgespräche - tagsüber organisierten Künstlerinnen und Künstler ein Programm für Kinder, von 16 Uhr an wurde für alle aufgemacht. Auf 50 mal 50 Quadratmetern, zwei Bühnen und einer Spielfläche in der Mitte für die Künstler und Musiker, denen eine Bühne normaler Größe nicht reichte. Eine vielköpfige Bläsercombo zum Beispiel, die eines Nachmittags jene Spielerinnen musikalisch anfeuerte, die sich mit dem Alten- und Sozialzentrum zum "Rentner-Bingo" - mit Eierlikör - zu Kunst im Quadrat aufgemacht hatten. Oder für die zwei Künstlerinnen, die von Hochstühlen aus, wie sie sonst bei Tennisturnieren von Schiedsrichtern genutzt werden, durch Flüstertüten über das Gelände jodelten.

1 / 4
(Foto: Andrea Huber)

Die Wiesn ohne Wiesn: ...

2 / 4
(Foto: Andrea Huber)

... Zumindest von den Festival-Besuchern von Kunst-im-Quadrat wurde der Oktoberfest-Trubel nicht wirklich vermisst.

3 / 4
(Foto: Andrea Huber; Anton Kaun/oh)

Das Orgateam (v.l.) Andi Alt, Andrea Huber, Matthias Weinzierl und Cara Holz bot ihnen und den vielen Zaungästen jede Menge Alternativen ...

4 / 4
(Foto: Andrea Huber/oh)

... wie eine Upcycling- Werkstatt ...

... oder viel Musik.

200 Menschen durften sich maximal auf den 250 Quadratmetern aufhalten, eigentlich war ein wenig mehr Platz, hatte doch die Aufbau-Crew die Bauzäune ein wenig großzügiger gesteckt. Außer auf den Bühnen und einer Handvoll Tanzenden davor gab es wenig Bewegung: Jeder sollte sich am Eingang einen Sitzplatz mitnehmen und sich seinen Platz dafür suchen - und dann da möglichst hocken bleiben. Wie im Freibad, wo jeder seine Decke auslegt, hieß es. Auch das Catering lief nicht auf Schlangestehen entlang festivalüblicher Fressgassen hinaus, sondern glich eher einem unkomplizierten Verteilen von Brotzeitpäckchen.

Die initiative Idee für dieses besondere Festival hatte Andreas Alt, er ist in der Glockenbachwerkstatt für das Musikprogramm und für Veranstaltungen zuständig. Wenn die Lage der Künstler so prekär ist, wenn schon die Wiesn ausfalle und deshalb Tausende Quadratmeter an der frischen Luft mitten in der Stadt frei seien - da sollten doch die anliegenden Stadtteilzentren, die sonst ja auch Programm machten für die Menschen im Viertel, sich zusammentun und etwas Kultur ermöglichen. Gemeint waren die Glockenbachwerkstatt an der Grenze der Altstadt zur Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, das Köşk mit der Färberei in der Schwanthalerhöhe und die Luise, das Stadtteilkulturzentrum für die Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt und Sendling. Letztere war zwar wegen der Pandemie noch gar nicht eröffnet, doch eine Geschäftsführerin gab es bereits.

Im Köşk fand ein erstes Gespräch statt, aus der Idee wurde ein schlüssiges Konzept. Die drei Bezirksausschüsse waren begeistert, unterstützten massiv, auch finanziell, jeder mit 10 000 Euro. Das erste Projekt fand bereits in den Wochen vor dem eigentlichen Start statt: 200 von der Kongresshalle aussortierte Stühle wurden in einer für jeden offenstehenden Malaktion mit großer Beteiligung individuell gestaltet. Am Ende der zwei Kunst-im-Quadrat-Wochen waren sie so etwas wie ein Markenzeichen für das Festival geworden, wurden teils versteigert, die anderen lagern im Köșk. Mittlerweile werden sie manchmal ausgeliehen, ganz aktuell warten sie auf ein weiteres Kunst im Quadrat.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die vier Organisatoren noch nie in dieser Konstellation miteinander zu tun, doch es war bald klar, dass sie sehr kreativ und effektiv zusammen arbeiten würden: Andreas Alt und Andrea Huber, Leiterin des Köşk, Sozialarbeiterin und Fotografin, haben gute Verbindungen zur Musik- und Performance-Szene und Werkstatterfahrung. Zudem kennt sich Huber besonders gut mit Fördermittelquellen aus. Dann war da Clara Holzheimer, sie hat die Organisation aufgebaut, gab der Festival-Arbeit die Struktur. Und Matthias Weinzierl, der bei der Glockenbachwerkstatt mitarbeitet, brachte seine doch erheblichen Erfahrungen und Kontakte von seiner Arbeit im Bayerischen Flüchtlingsrat mit, auch vom Bellevue di Monaco und der Initiative "Sechs Jahre Mietenstopp". Er übernahm die Festivalleitung. "Wir ergänzen uns außerordentlich", sagt er über die Arbeit im Team. "Alles im Konsens - alles auf Augenhöhe."

Verrückte Wochen seien es gewesen, erinnert sich Weinzierl an das Festival 2020, "wahnsinnig intensiv!" Die Organisatoren haben einen Monat lang kaum das Festivalgelände, schon gar nicht das Viertel verlassen, zum Schlafen sei er in die Glockenbachwerkstatt gegangen. Überfallen wurden sie vor allem von der Hitze. Fast wüstenähnlich könne es auf der Theresienwiese im Sommer werden, sagt Weinzierl, damit hatten sie nicht gerechnet. "Heiß wie unterm Brennglas und so windig, dass die Pavillons ab und an übers Gelände flogen und eingesammelt werden mussten."

Das soll im Fall eines neuen Auflebens des Sommermärchens anders werden. Diesmal plane man von vornherein mit mehr Pavillons, ebenso mit vielen Gartensprengern. Da das Team nicht nur an Erfahrung reicher ist, sondern diesmal mehr Zeit für die Vorbereitung hat, will es sich - falls überhaupt genügend Geld zur Finanzierung eines neuen Kunst im Quadrats zusammen kommt - auch besser auf das Publikum einstellen: Zum Beispiel habe sich gezeigt, dass Zuschauern, die angesichts der Zugangsbeschränkungen vom Hang aus, außerhalb des Zauns, dem Programm lauschten, die Sicht auf die hintere Bühne durch die vordere verstellt wurde. Daher plant das Team in diesem Jahr nur mit einer Bühne und will die Spielfläche in der Mitte des Geländes häufiger nutzen. Auch sonst suchen die vier Organisatoren den Austausch, wollen schon vor dem Festival den Besuchern "Anschlussmöglichkeiten" bieten, "damit sie nicht nur Gast sind". Aktuell entwerfen, auch das ist neu, Architekturstudenten der Hochschule München das Festivalgelände. Die Entwürfe sollen im Köşk ausgestellt werden, damit jeder Anregungen und Wünsche einbringen kann.

© SZ vom 15.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: