Seit Kurzem wird das Klohäuschen unter den Künstlerinnen des "Magdalena-Projekts" geführt, einem weltweiten transkulturellen Netzwerk kreativer Frauen. "Das hat mich krass gefreut. Dabei ist das Klohäuschen wahrscheinlich gar nicht weiblich - aber weiß man's?" Anja Uhlig kann wunderbar ernst bleiben, wenn sie so etwas erzählt. Einige der Magdalena-Frauen hätte es allerdings ziemlich befremdet, in ihren Reihen ein ehemaliges Männer-Pissoir zu entdecken.
Berührungsängste hatte kurzzeitig auch die Feministin und Queer-Aktivistin Zoe Gudović, die für eine Installation von Belgrad angereist kam und sich dann im acht Quadratmeter großen Raum mit den vanillefarbenen Kacheln und den noch sehr deutlich erkennbaren sechs Urinalen wiederfand. "Ihr ist erst mal das Gesicht runtergefallen. Wenig später hat sie sich aber total in das Klohäuschen verliebt", sagt Uhlig mit einem versonnenen Seufzer.
Annäherung mit viel Scheuermilch und Ammonika
Anja Uhlig freut sich jedes Mal unbändig, wenn jemand das Stehklo außer Dienst an der Ecke Oberländer-/Thalkirchner Straße so spontan ins Herz schließt. Etwa acht Jahre ist es her, da war es ihr selbst so ergangen. Oft hatte die Wirtschaftsinformatikerin damals in einer Trattoria vis-á-vis gesessen und das Klohäuschen am Westeingang der Großmarkthallen-Geländes betrachtet. Verschlossene Türen sind ein Versprechen, dahinter warten Geheimnisse, Rätsel, Geschichten - zumal wenn auch noch ein zweifelhafter Ruf mitschwingt, im Fall des Pissoirs seine Vergangenheit als "Klappe", also als Ort flüchtiger schwuler Sex-Kontakte. Anja Uhlig begann sich zu erkundigen. Sie wolle das versperrte, denkmalgeschützte Pissoir als Atelier oder Kunstraum nutzen und auch dafür bezahlen, macht sie den Zuständigen bei der Großmarkthalle klar. Stirnrunzeln, Naserümpfen, irgendwann wurde dann doch der Schlüssel umgedreht.
Man kann von einer freundlichen Übernahme sprechen, einer zärtlich resoluten Annäherung mit viel Scheuermilch und Ammoniak. Anja Uhlig hat sich den winzigen Raum putzend erschlossen und dabei seine Seele entdeckt. Heute kann sie die Urinalwände sogar kosen. "Das machen wir beide manchmal, das Klohäuschen und ich". Schallendes Lachen, denn die Reaktionen ihrer Umwelt sind da recht vorhersehbar. Pfui, igitt! Wie schräg ist das denn? Für Anja Uhlig gibt es keinen Ekel mehr, der Ort, längst blitzblank und porentief rein, hat für sie eine innere Würde.
Ganz unbedingt habe das Klohäuschen eine Persönlichkeit, glaubt sie, eine Persönlichkeit, die im Übrigen weder seinen wenigen Quadratmetern noch seinem heruntergekommenen Äußeren entspreche. Der Charakter, den Uhlig dem Klohäuschen bescheinigt, reicht von bodenständig, tolerant, neugierig über kapriziös bis "knallestolz". Man müsse sich also zusammenraufen, denn alles, was zwischen den Wänden des Klohhäuschens künstlerisch passiere, sei Teamarbeit. Anja Uhlig knüpft die Kontakte zu den Künstlern, am Ende aber entscheide das Klohäuschen, ob man etwas gemeinsam machen wolle oder eben nicht. Dabei erweist sich das alte Pissoir fast immer als offen. "Es stellt schnell intime Kontakte her", sagt Uhlig und meint das nicht als Anspielung auf seine Vergangenheit als Klappe.
Während des Magdalena-Projekts zieren einmal wieder Klosprüche die robusten Keramikwände der Urinale. "Kill, kill, kill all the faggots!" - "tötet, tötet, tötet alle Schwulen!" steht da. Die schwulenfeindlichen Schmierereien gehören zu Zoe Gudovićs Installation "Dissociation", die auch performative Elemente hat. Die serbische Künstlerin hat den Raum zu einer Erzählung über ihr Leben als lesbische Frau in Belgrad gemacht. Dem sonst nackten Klohäuschen gönnt sie eine heimelige Wohnzimmer-Atmosphäre mit Teppichen, Sesseln, Wandbehängen und Frühlingsblumen. In scharfen Kontrast zu den Klosprüchen und Ausschnitten aus einem Film, der die Parolen verortet, einer Gay- Pride-Parade in Belgrad, bei der Teilnehmer brutal niedergeknüppelt wurden.
Gudović hat die Besucher des Klohäuschens auch eingeladen, mit ihr über Liebe zu sprechen. Im Türfenster hängen Gedanken, die sie auf Toilettenpapierstreifen notiert haben. Interaktion ist Anja Uhlig wichtig. Sie selbst wohnt im Viertel an der Großmarkthalle und weiß, dass der kleine Kunstfreiraum dort geschätzt wird. Zumeist kennt sie nur die Vornamen von Nachbarn, die vorbeischauen. Leute wie Gerda etwa, eine Frau um die Siebzig, oder Doris, "die wohnt da hinten irgendwo und hat schon Decken und Plätzchen vorbeigebracht", erzählt Anja Uhlig. Viele Nachbarn waren jetzt auch zu Gudovićs Aktion gekommen. Die Leute von der Großmarkthalle allerdings, die bleiben zu Uhligs kleiner Traumfabrik auf Distanz. "Ich glaube, für die ist die Kunst hier zu skurril."
Spiel mit Raum und Vergangenheit
Das Klohäuschen ist kein White Cube, in dem Künstler Bilder an die Wände hängen, und fertig. Die "Gäste", so nennt sie Anja Uhlig, haben in der Regel einen erweiterten Kunstbegriff. Sie spielen mit den acht Quadratmetern und der Vergangenheit des Raums, machen das Klohäuschen zum Urwald, in dem ein Faultier schnarcht, oder zum Fitnessraum für unsichtbare feinstoffliche Wesen. Sie nähen dem kleinen Pissoir a.D. ein wärmendes, inneres Winterkleid. Im Klohäuschen hat man schon Kunst aus Haaren gesehen, es wurde dort meditiert, getanzt, gestrickt. Das Klo war Tropfsteinhöhle, Grotte, Konzertsaal, Ort für Bankette, pneumatische oder lichtkinetische Experimente. Bei mehr als neunzig Aktionen kommt einiges zusammen, und der Ruf des kleinen Häuschens an der Großmarkthalle hat sich rasch verbreitet. Global wohlgemerkt. Die Gäste kommen längst auch aus den USA oder so entfernten Orten wie Spitzbergen.
Klohäuschen goes big. Ja, Anja Uhlig kann es nicht kleinreden. Das Klohäuschen habe halt immer "große Rosinen im Kopf". Deshalb müsse es auch regelmäßig eine Biennale sein, da lasse es nicht mit sich reden. So hat das Klohäuschen schon einen auf Venedig gemacht und eine Schau mit "vernachlässigten Lebensformen" in seinem "Länderpavillon" präsentiert. Heuer im Juni und Juli nimmt sich das Klohäuschen die Documenta vor. Nach dem Motto "von Athen lernen" hat es sich nach Griechenland aufgemacht. "Weil das Klohäuschen aber sehr alt und langsam ist, kam es nur bis Ottobrunn", erzählt Anja Uhlig und verdreht unmerklich die Augen.
Dort in der "Gartenlaube der Kunst", noch winziger selbst als das Klohäuschen, habe man einen tollen Partnerstandort gefunden. Überhaupt Ottobrunn, ist von da nicht der spätere Griechenkönig Otto nach Hellas aufgebrochen? Also fast wie Athen. "Das Klohäuschen war mal wieder schlauer als wir alle zusammen", sagt Anja Uhlig. Und man blickt auf seine verwaschene, schlammgrüne Fassade und hat für einen Moment den Eindruck, es würde einem zublinzeln.