Tassilo-Kulturpreis der SZ:Die Literatur-Botschafterin

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Von Huntsville nach Moosach: Vera Kahl hat schon immer in kreativen Berufen gearbeitet, doch bei den Büchern blieb sie letztlich hängen. Die Leidenschaft für Literatur will sie auch bei anderen wecken. (Foto: Florian Peljak)

Erst vor zweieinhalb Jahren hat Vera Kahl in Moosach einen Buchladen eröffnet. Mit ihrer Liebe zu den Büchern aber hat sie bereits den Stadtbezirk infiziert.

Von Anita Naujokat

Noch vor zweieinhalb Jahren war Moosach für Vera Kahl ein weißer Fleck auf der Stadtkarte. Die Jazzreihe im Pelkovenschlössl kannte sie, doch sonst sagte ihr der Stadtbezirk gar nichts. Dass sie ausgerechnet dort ihre Buchhandlung eröffnete, hing zunächst mit eher ökonomischen Erwägungen zusammen. "In Haidhausen gab es schon 13 Buchläden, da brauchte es keinen 14. mehr", sagt sie. Akribisch hatte Vera Kahl Nädelchen auf den Stadtplan gesteckt und gesehen, in Münchens Westen und Norden war kaum ein Fähnchen. Außer der Hugendubel-Filiale im Olympia-Einkaufszentrum hatte Moosach kein einziges Buchgeschäft.

Und dann ist alles ganz schnell gegangen: In der Moosacher Meile war überraschend ein Laden frei geworden, und ihr Lebensgefährte Georg Mang sagte: "Mach das." Und sie hat es gemacht. Sie hat das Dorffest der Vereine besucht, um zu sehen, wo sie eigentlich hingeraten war und gemerkt, die kennen sich ja alle, man redet miteinander. Dieses soziale und kulturelle Miteinander kannte sie aus Bogenhausen nicht, wo sie lebt. "Ich war von der ersten Sekunde an schockverliebt in dieses Viertel." Und ist innerhalb kürzester Zeit in Moosach angekommen. Oder, wie es ein Bewunderer ihres Engagements ausdrückt: Vera Kahl hat die Literatur nach Moosach gebracht.

Bücher zu verkaufen, um leben zu können, ist das eine. Doch Vera Kahl wollte sich auch aktiv im Stadtbezirk einbringen und sich mit anderen kulturellen Einrichtungen verzahnen. Kaum hatte sie im September 2015 ihre Blattgold-Literatur-Handlung eröffnet, initiierte sie neben Einzel-Lesungen - 16 in zwei Jahren - die Reihe "Ein Buch für Moosach", inspiriert von ähnlichen Aktionen in Hanau, Stuttgart und Regensburg. Zehn Wochen lang kursierte unter diesem Label der Jugendroman "Wunder" der amerikanischen Autorin Raquel J. Palacio in Lesungen, Theaterstücken, Kabarett, Gesprächsrunden und Film durch den Stadtbezirk. An den 25 Veranstaltungen nahmen an die 1700 Kinder und Erwachsene teil. Von dem Buch animieren ließen sich auch Schüler außerhalb des Stadtbezirks. Ein Jahr später rief die Mutter zweier erwachsener Töchter die erste Literaturnacht in Moosach ins Leben. 15 Autoren lasen an 15 zum Teil ungewöhnlichen Orten wie in der Apotheke aus ihren Werken vor.

Vera Kahl war schon immer kreativ unterwegs. 1961 in Huntsville in Alabama geboren - ihr Vater arbeitete bei der Nasa - kam sie als Fünfjährige nach München, als ihr Vater einem Ruf an die Universität folgte. Sie studierte Germanistik, schwenkte in Richtung Lehramt ab, dann machte sie doch etwas ganz anderes. Wegen ihres Mannes wechselte sie in die Floristik. Er war Gärtner, sie führte 17 Jahre lang das Blumengeschäft in Feldkirchen. Danach arbeitete sie als Requisiteurin beim Bayerischen Fernsehen, stattete hauptsächlich Kochsendungen aus. In jener Zeit half sie nebenbei einer Bekannten in deren Buchladen in Poing aus und fing sofort Feuer für die Buchbranche.

"Die Liebe zu Büchern war eigentlich schon immer da, Bücher hatten in meiner Familie einen hohen Stellenwert", sagt Kahl. So gesehen war der Weg zu einer eigenen Buchhandlung fast schon vorgezeichnet, wenn auch nicht einfach.

Nicht nur der Online-Handel macht Neuanfänge und das Überleben kleiner Buchgeschäfte schwer. In Moosach kommt hinzu, dass die Kaufkraft nicht sehr hoch ist. Sie liege unter dem, was der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Durchschnittswert pro Kunde annehme, sagt Vera Kahl. Und Laufkundschaft rechne in einem großen Einkaufscenter nicht unbedingt mit einem Geschäft, in dem man in Ruhe stöbern und entdecken könne, oder bringe gar die Zeit dafür mit.

Bremsen kann das Vera Kahl nicht. Die Aktion "Ein Buch für Moosach" finanzierten sie und Georg Mang aus eigener Hand, für die Literaturnacht erfuhren sie nach zum Teil großer Überzeugungsarbeit bereits eine breite Unterstützung vom bayerischen Kultusministerium, dem städtischen Kulturreferat, dem Bezirksausschuss und dem örtlich ansässigen Unternehmen Meiller. Bei der Organisation beschränkt und verlässt sich Vera Kahl trotz des hohen Aufwands einzig auf die Hilfe ihres Lebensgefährten. Das soll auch so bleiben. "Als Mini-Team sind wir beweglicher, können uns schneller abstimmen und haben kurze Wege." Es sei schon zu zweit schwierig, sich auf ein Werk für die Aktion "Ein Buch für Moosach" zu einigen.

Auch in diesem Jahr legen Vera Kahl und Georg Mang wieder ein Buch für Moosach auf, dieses Mal eng vernetzt mit Regensburg, zur gleichen Zeit und mit demselben Buch: "Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer" des in der Schweiz lebenden Schriftstellers Alex Capus, der an zwei Tagen zu Lesungen kommen wird. "Dieser Mann ist ein Erlebnis, charismatisch, eine Rampensau - er erzählt mehr, als dass er liest", schwärmt Kahl schon jetzt.

Zur Leseförderung tragen nicht zuletzt ihre Buchausstellungen für Kinder und Eltern in Kindergärten bei, außerdem können sich Einrichtungen bei ihr kostenlos eine Leihkiste mit mehrsprachigen Büchern borgen. Sie berät gerne Schulen über moderne Kinder- und Jugendliteratur: "Es gibt 120 000 Neuerscheinungen im Jahr, da die guten Sachen herauszufischen ist oft nicht einfach." Auf Wunsch vermittelt sie auch Autoren für Lesungen an Schulen. Die zweite Literaturnacht in Moosach wird es erst 2019 geben. "Mehr als ein Großprojekt schaffen wir nicht im Jahr, weder was den finanziellen noch den Arbeitsaufwand betrifft. Der ist echt gigantisch."

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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